Kirchen und Politik im Zuge der politischen Umwälzungen im Nahosten

Im politischen Wendeprozess des Nahen Ostens versuchen die orientalischen Kirchen eine Rolle einzunehmen, die sie von ihrer eigentlichen empathischen religiösen Rolle weiter entfernt, und weit über Friedensgebete, göttlicher Bestimmung des Menschen und das Predigen von Nächstenliebe, hinausgeht.

Das Verhältnis Kirche und Politik scheint neue Dimensionen zu anzunehmen. Eine Situation, die die Beziehung der Kirchen zueinander und zu den politischen Kräften neu definieren wird. Die Lage der Christen im Nahosten wird sicherlich auch davon beeinflusst werden.
Wie ist die neue Situation politisch und gesellschaftlich zu lesen, wohin führt es? Können die kirchlichen Institutionen mittelfristig zur Stärkung der Zivilgesellschaft beitragen?
Ich möchte in meiner Ausführung auf die wesentliche gesellschaftliche Rolle der Institution Kirche hinweisen und mich im Weiteren auf die Analyse ihrer Rolle im Zuge der politischen Umwälzungen beschränken.

Die politische Rolle der Christen im aktuellen Geschehen im Nahosten war stets führend und beispielhaft in der Verbreitung von demokratischen und laizistischen Gedanken von höchstem intellektuellen sowie politischem Wert. Hier ist zu differenzieren zwischen der Rolle kirchlicher Institutionen und Akteure einerseits und der Rolle von christlichen Politikern sowie Organisationen auf der anderen Seite.

In der zum Anschein gekommene Glaube an die ewige Herrschaft des Systems, versuchte der koptisch-orthodoxe Patriarch Shenouda III Einfluss zu nehmen und warnte seine Gläubige davor gegen den ehemaligen ägyptischen Machthabers Mubaraks zu demonstrieren. Dies führte zwar damals zur Verunsicherung innerhalb der christlichen Aktivisten, dennoch haben viele christliche Kopten aktiv an den Demonstrationen teilgenommen. Dies führte meines Erachtens zur Infragestellung der kirchlichen Autorität.

Die Angst vor dem Ungewissen konnte die Kirche in Ägypten ihren Gläubigen nicht nehmen! Die Entwicklungen nach der ägyptischen Revolution lassen sich verdeutlichen in der Aussage des Papstberaters, Jesuit Samir Khalil Samir, noch im Februar im Radio Vatican: „Natürlich, die Islamisten wollen an die Macht! (…) Sie finden, dass Ägypten zu stark vom nicht-islamischen Westen beeinflusst ist. (…) Und sie wollen an die Macht, um Reformen durchzusetzen, die aus ihrer Sicht das Beste für das Volk sind? aus der Sicht anderer hingegen das Schlimmste“
Im Libanon, wo die Kirche stets eine politische Rolle einnahm und diese auch immer wieder in Anspruch nimmt, hat sich der neue maronitische Patriarch Bechara Al-Rai bei einem Besuch der us-amerikanischen Botschafterin im Libanon in seinem Sitz, eine Garantie für den Schutz der Christen im Orient verlangt. Bei dem Sender Alarabiya im September wies er Rücktrittsforderungen des syrischen Präsidenten Bashar Al-Assad zurück und bekräftigte, dass ein Zusammenbruch des syrischen Baath-Regimes die christlichen Minderheiten im Nahen Osten einer großen Gefahr aussetze, und forderte dem syrischen Präsidenten noch "mehr Chancen, um politische Reformen, die er begonnen hat, fortzusetzen". Er betonte, dass er nicht auf der Seite des syrischen Regimes sei.

Diese Aussagen führten gewiss zu Sympathien zu dem maronitischen Patriarchat seitens des syrischen Regimes und seinen Getreuen im Libanon und Syrien. Gleichwohl wurde dies von syrischen oppositionellen Intellektuelle nicht nur als Einmischung in die syrische politische Situation gelesen, sondern auch als inakzeptabel und eine falsche Einschätzung bewertet.

In ihrer Erklärung vom 18.09.2011 haben christliche syrische Intellektuelle und Aktivisten betont, dass „wir versichern, dass die syrische Krise par excellence eine rein politische und keine religiöse ist. Und dass die Bewegung, die wir gerade erleben, eine Volksrevolution mit zivilen Charakter ist“. Auch hier wurden jedoch historische Wahrheiten verfälscht und jahrhundertelange Verfolgung der Christen im islamisch-arabischen Reich und unter osmanischer Herrschaft verschwiegen: "… (wir) erinnern daran, dass die Christen seit Jahrhunderten ohne Angst an der Seite ihrer Brüder in der syrischen Heimat leben“.

Dieses Phänomen der pauschalen Aussagen und vehementen Ablehnung oder Befürwortung ist ein Teil des politischen Spiels.
Seine Eminenz hat jedoch lobenswert und offen auf die Gefahren durch den Durchbruch islamistischer radikaler Bewegungen hingewiesen, und machte deutlich, dass diese die im Gang befindlichen Unruhen und Revolutionen ausnutzten. Doch dies kann nicht ein Grund sein, um Revolutionen abzulehnen, da diese nun in den Regimen des Nahostens und Nordafrikas wichtig sind, um politische Veränderungen hervorzurufen.

Samir Geagea, Vorsitzender der Forces Lebanese, kritisierte dies indirekt und wies darauf hin, dass „...die historische Rolle der Christen dadurch von ihrer ursprünglichen Rolle als Verteidiger der Menschenrechte in bloße Sandsäcke zum Schutz der Regime umgewandelt werde, welche weder Werte noch Überzeugungen besitzen, sondern nur auf die Aufrechterhaltung ihrer Macht mit allen Mitteln bedacht sind..“. Dies wäre auch " ein Putsch gegen die humanistischen und christlichen Werte". Geagea fragte: "ist es natürlich, dass wir uns vom Orient isolieren, während dieser anfängt sich uns zu ähneln?".

Auch arabisch-islamische Publizisten kommentierten dies und lobten die Rolle der Christen in der Vergangenheit und in den aktuellen politischen Umwälzungen, die sie allerdings stets arabisieren und ihre ethnische Herkunft nicht anders als die regierende Baathpartei verfälschen. Der ägyptische höchste Imam Shaikh Ahmad Taib kritisierte am 24.09.2011 auch die Aussagen des maronitischen Patriarchen, und betonte, dass die Christen ein Teil des arabischen Ostens seien und es keinen Unterschied zwischen Muslimen und Christen gebe, weil eine Situation der Toleranz und Zusammenleben existiere. Ich frage mich, ob er über Visionen der Zukunft oder über einen uns unbekannten arabischen Osten auf dem Mars spricht, wo zuletzt fast 100.000 Christen in diesem Jahr aus Ägypten flüchten mussten, und die Christenverfolgung in den Ländern des nahen Ostens Dimensionen erreicht, die auf die vollständige Zerstörung ihres Lebensraumes zielt.

Der assyrische Aktivist und Analyst Suleiman Suleiman wertete es so aus, dass sich die Kirche damit auf die Seite des Regimes und in Konfrontation mit der Mehrheit des syrischen Volkes stellt, und das Schicksal der indigenen Christen Syriens mit dem Schicksal des Regimes verbindet. Dies kann durchaus das Verständnis der "Schutzbefohlenen-Funktion" eines islamischen Staates stärken.

Ich stelle die Frage, welchen Sinn es hat und mit welcher Weisheit stellt sich ein Kirchenoberhaupt für eine politische Seite gegen die Andere? Wenn es als Loyalität zum Staat verstanden werden soll, so wird offensichtlich nicht zwischen dem Staat samt seinen gesetzgebenden und exekutiven Organen und dem Regime samt seiner Partei und seinen Apparaten differenziert. Dies ist in Syrien üblich.

Einige Beobachter erinnern sich an die Position der chaldäischen Kirche zu der ehemaligen Baath-Regimes im Irak. Dennoch gewann diese nach dem Sturz des Regimes im Irak um so mehr weltlichen Einfluss und stellte den Anspruch diesen auch aufrechtzuerhalten!

Der Patriarch der syrisch-orthodoxen Kirche appellierte an das syrischen Regime, Reformen einzuführen und wies hin auf die bevorstehende Förderung des Staatsbürgerlichen und die Wichtigkeit des des Lebens in Würde.

Dies wurde damals von einigen Beobachtern als Kritik verstanden und im Allgemeinen positiv bewertet. Seine Eminenz hat jedoch in einem Interview im staatlichen syrischen Fernsehen am 03.10.2011 den loyalen Bürger als gleichwohl liebend zu seinem Land, seine Religion, Gott und seinem Nächsten bezeichnet. Er betonte die Bedeutung der Heimatliebe und die historische Rolle der assyrischen Christen in Syrien. Er drückte seine große Hoffnung in der Gegenwart und der Zukunft Syriens unter der Führung Assads, und dass das was passiert, nur eine schwarze Wolke sei.
Den greisen und kranken Patriarchen in dieser Situation zu interviewen und ihm Fragen zu stellen, die die syrisch-orthodoxe Kirche in Verlegenheit bringt, wirkte provokativ und frustrierte intellektuelle Kirchenangehörige und ließ einige Analytiker die Aussagen kritisieren.

Der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Aleppo, warnte zwar mit Recht vor der Instabilität, doch geht soweit und behauptet, dass die Christen in Syrien im Allgemeinen für den Präsidenten Assad und sein Regime seien, und wünschen sich, dass dieser Sturm nicht lange dauere. Ich frage, ob er tatsächlich von der aktiven Teilnahme von Christen in verschiedenen oppositionellen Organisationen und in friedlichen Demonstrationen nichts weiß?

Die Position des Patriarchen der griechisch-orthodoxen Kirche war meiner nach Meinung realitätsfern. Dieser bekräftigt, dass er nichts hat, was ihm beängstigt, was Syrien angeht. Denn er glaube nur an dem „was sein Auge sieht“. Er spüre Verbesserungen und Fortschritt, und er wisse, dass der syrische Präsident ehrlich sei und für die Reformen arbeite. Sein Eminenz zweifelt sogar auch an die Angst der Christen im Nahosten, und betont: „uns beängstigt keiner“. Diese wären Prophezeiungen, die ihm nichts bedeuten, da „wäre diese Angst real hätten wir längst die Region verlassen. (…) Wir sind die Besitzer dieses Landes, und wer denkst, uns vertreiben zu können, ist frei“. Mich schockiert es, dass der Patriarch, nichts von den Vertreibungen, Zwangsislamisierung und Genozid wissen will. Die Auswanderungswelle der indigenen Christen, die in den letzten 50 Jahren stark zunahm, darf doch seiner Eminenz nicht fremd sein. Wenn er es in seinen Augen sehen will, so soll wohl auch in den Irak (wie seine katholischen Kollegen) reisen, um mit den eigenen Augen zu sehen, was Angst und Leben in ständiger Gefahr bedeutet. Er soll recherchieren, wie seine eigenen Gemeinden, und die der anderen Schwesterkirchen seit der Gründung der jungen Staaten im Nahosten geschrumpft sind. War sein Eminenz zu Besuch in den palästinensischen Gebieten, um die Gemeinden zu besuchen und zu erfahren, wie viel Christen ihre Heimat verlassen mussten, insbesondere seit der Machtübernahme von Hamas. Ist dem Patriarchen die Lage der Christen im Südlibanon unter der Herrschaft der Hisbollah wirklich unbekannt?

Der melektische katholische Patriarch Grigorios III Laham, geht so weit und behauptet im Radio Vatican, dass was in Syrien geschehe, keine echte Revolution sei. Nun stellt sich natürlich erst eine Verständnisfrage, was seine Eminenz unter Revolution versteht? Dann wie informiert ist der Patriarch als Geistlicher über das was auf den syrischen Straßen und in der Politik passiert? Dennoch ermahnte er die syrische Regierung zu mehr Freiheit, Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung. Dies wird nur eine Bestätigung dafür, dass es in Syrien an Freiheit, Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung fehlt. Gleichwohl irrt er sich, was der wirtschaftlichen Entwicklung angeht, obwohl zwar ein Trend zu erkennen geht, doch sehr langsam vor sich geht. Es ist jedoch kein Trend zu erkennen, die bestehenden korrupten wirtschaftlichen Strukturen zu reformieren, worin auch Funktionäre des Regimes und Verwandten des Präsidenten daran verwickelt sind.

Auch diese Aussage war wie die anderen der Kirchenoberhäupter nicht authentisch und zeigt auch unter welchem Druck diese stehen und wie sie sich krampfhaft ins das politische Geschehen einmischen. Sie relativieren Gräueltaten und Verfolgung, und denken dabei ihre Gläubige schützen zu können. Wird mit dem Vergleich begründet, dass es den Christen besser geht, als den Christen in den anderen Nahostländern.

Der chaldäisch-katholische Pfarrer Saad Sirop, der selbst Opfer von einer Entführung im Irak fiel und frei kam, schreibt in seinem analytischen Artikel ''Die Kirche und die arabische Revolutionen'', vom 05.10.2011 in www.ankawa.com dass die Position der Kirche, aus ihrem Glaube und alleiniger Loyalität zu Gott stammt, und egal wie die Kirche ein politisches Regime ablehnt oder befürwortet, ist von dem Ausmaß abhängig, welche Nähe dieses System zu der Kirche zeigt und wie er die Existenz der Kirche erhält und seine Nichtablehnung christlicher Richtlinien. Er lehnt es ab, dass die Kirche sich von einem politischen System beherrschen lässt. Er weist dabei auf die Unabhängigkeit der Kirche und Wichtigkeit hin, und warnt vor der passiven Adoption von politischen Propositionen.

Diese Positionen der Kirchenoberhäupter werden leider schon heute von verschiedenen Seiten, wie einige kurdische Medien zur Hetze gegen Christen genutzt, was sicherlich die Befürchtungen von ungewisser Zukunft begründet. In fundamentalistischen Kreisen wird von einer nicht existierenden schiitisch-christlichen Koalition, und einer vermeintlichen entsprechenden Anweisung des Papstes gesprochen. Sie interpretieren die Aussagen von kirchlichen Oberhäupter, als Befürwortung von Greueltaten gegen Demonstrierenden, was sicherlich nicht stimmt.

Die Assyrische Demokratische Organisation (ADO), die auch dem oppositionellen Syrian National Council angehört, betreibt eine friedliche oppositionelle Arbeit. Sie fordert die verfassungsmäßige Anerkennung der Assyrer als indigene Volksgruppe
in Syrien. sowie praktisch wirksame Garantien für ihre vollen politischen, nationalen und kulturellen Rechte an. Die ADO hat bis jetzt eine internationale militärische Intervention nicht verlangt. Durch die Politik der Kirchen, kann es zu einer von ihr nicht gewollten Konfrontation mit kirchlichen Institutionen kommen.

Manche kirchliche Positionen lehnen sich weit hinaus über die Empfehlungen des zweiten vatikanischen Konzils, der die „Aufteilung der Ämter und Funktionen der öffentlichen Gewalt in Verbindung mit einer wirksamen und unabhängigen Rechtsinstanz“ empfiehlt, ferner auch „nur im Rahmen der sittlichen Ordnung“, „und zwar im Dienste der Verwirklichung eines dynamisch verstandenen Gemeinwohls“.
Die katholischen Konzilsväter beharren darauf: „Ebenso ist alles, was die Menschen zur Erreichung einer größeren Gerechtigkeit, einer umfassenderen Brüderlichkeit und einer humaneren Ordnung der gesellschaftlichen Verflechtungen tun, wertvoller als der technische Fortschritt. Dieser technische Fortschritt kann nämlich gewissermaßen die Basis für den menschlichen Aufstieg bieten; den Aufstieg selbst wird er von sich allein aus keineswegs verwirklichen“(35).

Die nachdrückliche politische Betätigung kirchlicher Funktionäre, entfernt sie nicht nur von ihrem Glaube, sondern kann sie ein Zwiespalt zwischen den Kirchen und ihren Gläubigern klaffen lassen. Ihr beanspruchtes Sprechen für die Christen als Verterter, lässt feststellen, wie weit die orientalischen Kirchen von der Trennung von Kirche und Staat bzw. Politik entfernt sind. Ich stelle hier eine Position fest, die weit mehr über das Plädieren zu einem besseren Staat und hin zur Gefährdung vor Politisierung von Glaube bzw. Einmischung ins politische Geschehen geht. Ferner kann dies den politischen Organisationen noch mehr Schwierigkeiten, in der Selbstbestätigung auf der politischen Bühne und in der politischen Arbeit verbreiten, oder gar außerhalb dieser Gleichung setzen.

Der Schutz der Menschen in den jeweiligen Ländern obliegt den Regierungen, da diese das Gewaltmonopol haben. Dafür muss keiner sich bedanken, oder dem derzeitigen Gewaltinhaber Treue zeugen. Der Preis zum Schutz darf nicht sein, die indigenen Christen zu Schutzbefohlenen zu machen oder die absolute Treue zu dem jeweiligen Machthaber sein. Dennoch bleibt offen, ob mindestens der bisherige Maß an Sicherheit und Stabilität - der zwar nie ausreichte, um sich zu entfalten, bei einem Umsturz des syrischen Regimes erreicht werden kann. Hier liegt die Verantwortung laizistischer Kräfte den Christen die Angst vor der Zukunft durch Taten zu nehmen. Damit kann die unverzichtbare Beteiligung der indigenen Christen an einer friedlichen Opposition gestärkt werden. Ihre politische Rolle in der syrischen Gesellschaft muss gestärkt werden, damit dieser Schwachpunkt in dieser Umwälzung beseitigt werden kann.

Raif Toma


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Publizist und Spezialist zum Thema Terrorismus, Islamismus und Nahostpolitik. Aktivist in der Frage der Menschenrechte, Christenverfolgung und der assyrischen Frage. Spezialist für Altersvorsorge, Krankenversicherung, Finanzierungen und Finanzen