Zwei Abstimmungen - Heimopfer lehnen Ergebnis des Runden Tisches Heimerziehung ab

Im Februar fanden im Internet zwei Abstimmungen statt. Während die des Theologen und Psychologen Dierk Schäfer aus Bad Boll am 28. Februar beendet war, lief sie beim "Verein ehemaliger Heimkinder" (VeH) bis zum 15. März. Jetzt liegen beide Ergebnisse vor.

Die kleine Abstimmung von Dierk Schäfer behandelte die persönliche Stellungnahme zum Ergebnis des Runden Tisches:
"Am Runden Tisch Heimkinder wurden viele Probleme behandelt, die für mich wichtig sind. Das Ergebnis im Einzelnen ist unterschiedlich zu bewerten. Wenn ich auf das blicke, was für mich persönlich besonders wichtig ist, komme ich zu folgender Stellungnahme:
Ja, ich akzeptiere das Ergebnis des Runden Tisches.
Nein, ich akzeptiere das Ergebnis des Runden Tisches nicht.
Ich kann mich nicht entscheiden und enthalte mich der Stimme."
91,67 % der 48 gültigen Stimmen "akzeptieren das Ergebnis des Runden Tisches nicht".
http://dierkschaefer.wordpress.com/2011/03/01/basisumfrage-das-abstimmun...

Die Fragestellung des VeH zielte auf die finanzielle Entschädigung ab:
"Abgesehen von einzelnen Punkten des Abschlussberichtes „Runder Tisch Heimerziehung
der 50er und 60er Jahre', mit denen ich eventuell übereinstimme, teile ich hiermit mit, dass ich die in diesem Bericht festgehaltene Empfehlung an den Deutschen Bundestag zur finanziellen Entschädigung ehemaliger Heimkinder als
unangemessen ablehne
angemessen akzeptiere
ich weiß nicht"
89,1 % der 888 gültigen Stimmen ehemaliger Heimkinder und immer noch 68,3 % der Nicht-Heimkinder lehnen diese Entschädigung von maximal 4.000€ als unangemessen ab.
http://veh-ev.info/

Während Dierk Schäfer ausschließlich die Abstimmung per Brief durchführte, bot der VeH eine Onlineabstimmung an, versandte allerdings auch Fragebögen an ehemalige Heimkinder ohne Internetzugang.

Schäfer auf die Frage, welche Signalwirkung dieses Ergebnis für die ehemaligen Teilnehmer des Runden Tisches habe:
"Ich glaube nicht, daß die dieses Signal nötig hatten. Wer in dieser Weise ein Problem versucht auszusitzen und die äußerst geschickte Taktiererei der Moderatorin erlebt hat, ich denke besonders an die ganz spezielle Einbindung eines Heimkindervertreters und an den Psychodruck in der letzten Sitzung, so jemand wird sich keinen Illusionen hingegeben haben, daß der Schlußbericht von der Basis akzeptiert werden könnte."
http://dierkschaefer.wordpress.com/2011/03/02/die-basisumfrage-helmut-ja...

Heidi Dettinger, Schriftführerin des VeH, in einer ersten Stellungnahme:
"Das Echo auf diese Umfrage war erstaunlich hoch: 888 ehemalige Heimkinder und 42 Nicht-Heimkinder haben an der Abstimmung teilgenommen. Mit eindeutigem Resultat:
Die Empfehlungen des 'Rundes Tisches Heimerziehung der 50er und 60er Jahre' werden
von den Überlebenden dieses 'größten Verbrechens der Bundesrepublik Deutschland' mit
einer vernichtenden Stimmenmehrheit abgelehnt.”

Dierk Schäfer hat sein Abstimmungsergebnis dem Petitionsausschuß und dem Präsidenten des Deutschen Bundestages Norbert Lammert zur Kenntnisnahme gesandt. Der VeH wird nachziehen.

Kommentar:
Das Ergebnis der Abstimmungen war abzusehen. Auch und gerade in dieser Deutlichkeit. Die Abstimmungen sind nicht repräsentativ, sollten sie auch nicht sein. Dierk Schäfer hat bewußt die Hürde der schriftlichen Abstimmung gewählt, um mögliche Manipulationsunterstellungen von vorn herein vom Tisch zu bekommen. Der VeH hat die schriftliche und online-Möglichkeit eingeräumt. Auch weil die Fragestellung unterschiedlich war, kamen geringfügig unterschiedliche Prozentzahlen zustande.
Die Ergebnisse sind eine schallende Ohrfeige für die meisten, der am "Runden Tisch Heimerziehung" (RTH) tätig gewesenen Vertreter der Täterseite, der kirchlichen und staatlichen Organe und der Vorsitzenden Dr. Antje Vollmer. Sie müßte dieses Ergebnis besonders treffen, hatte sie doch am 13. Dezember des vergangenen Jahres unablässig die positive Resonanz ihrer Arbeit, selbst durch die vertretenen Opfer, in die Medien posaunt. Am gleichen Tag war allerdings der Lack ab: Ein Opfervertreter stimmte gegen die Empfehlungen des RTH, andere fühlten sich zur Zustimmung erpreßt.
Jetzt hat die Basis, wenn auch nicht repräsentativ, der Vorsitzenden die mehr als spärlichen Sitzungsprotokolle, den Zwischen- und den Schlußbericht förmlich vor die Füße geworfen. Spätestens nach dem Zwischenbericht ist den meisten Opfern aufgegangen, daß sie mächtig über den Tisch gezogen werden sollen. Professor Dr. Manfred Kappeler hat bereits diesen Bericht analysiert und den Opfern und ihren Freunden die Augen geöffnet. Die wenigen kosmetischen Korrekturen aufgrund dieser Analyse konnten die Opfer nicht beruhigen. Ihnen wurde immer deutlicher, daß Antje Vollmer die Rolle der neutralen Moderatorin sehr schnell an den Nagel hängte und versuchte, ihre eigenen Vorstellungen durchzupauken: Die mögliche Opferentschädigung dürfe nicht höher als die für ehemalige Zwangsarbeiter der NS-Zeit sein; der Begriff Zwangsarbeit träfe auf die Situation der Arbeiter in den Heimen nicht zu, weil dieser Begriff bereits im Zusammenhang mit den NS-Zwangsarbeitern besetzt sei. Auch sonst hat Vollmer wichtige Dokumente, Ratschläge und Empfehlungen in den Wind geschlagen und den Opfern vorenthalten. Die tatsächlichen Entschädigungszahlungen, die der Ex-Anwalt Michael Witti für seine Zwangsarbeiter aushandelte, sind in den Protokollen und Berichten nicht zu finden. Die Eingaben des Theologen Schäfer aus Bad Boll sind ebenso undokumentiert. Auch sonst hatten die ehemaligen Heimkinder schnell das Gefühl verschiedenster Manipulationen: Wurde der Zwischenbericht in großem Kreise vor Presse, Opfern und kritischen Opfervertretern vorgestellt, zog man sich für den Endbericht in das Bundespressehaus zurück, in dem nur Journalisten Rückfragen stellen dürfen. Das hinterließ den fahlen Beigeschmack, daß kritische Fragen aus der Opferecke vermieden werden sollten. Die Rechnung ging nicht auf. Es war ein kluger Schachzug des VeH, im selben Haus einen Raum zu belegen. Dort kamen die Opfer zu Wort und mit ihnen redegewandte Sprachrohre. Ingrid Matthäus-Meier, ehemaliges Zugpferd der SPD im Bundestag und Klaus Dickneite, Sprecher der behinderten Heimopfer, verstanden es, zu verdeutlichen, daß der RTH an den Opfern vorbei getagt hat. Die Gruppe der damals wehrlosen behinderten Klein- und Schulkinder ließ Vollmer an ihrem Tisch nicht zu. Sie, ehemalige Pastorin, hat sich nicht einmal erkennbar beim Bund für ihre Teilnahme eingesetzt. Dies ist eines der unzähligen Skandale zweijähriger RTH-Aufarbeitung.
Der Petitionsausschuß und der Bundestag selbst täten gut daran, die beiden Abstimmungen ernstzunehmen. Hinter ihnen stehen die heute immer noch sprachlosen, traumatisierten und im Entsetzen erstarrten ehemaligen Kinder aus drei Jahrzehnten Gewalt und Terror unter vielen kirchlichen und einigen staatlichen Dächern. Der Bundestag muß jetzt zu der Erkenntnis kommen, daß der RTH zwei wertvolle Jahre vergeudet hat. In dieser Zeit wäre man dem Ziel vielleicht nähergekommen, den Geschundenen wenigstens einen Lebensabend in Würde zu gestalten.