Runder Tisch Heimerziehung: Bruchlandung in Sicht

Zwei Jahre Zeitschinderei ohne Opferentschädigung?

Wer zwischen den Zeilen liest, zwischen den Worten hört, dem war und ist schnell klar: Der Runde Tisch Heimerziehung (RTH) wird im Dezember eine gewaltige Bruchlandung hinlegen. Ursula von der Leyen legte den Grundstein für eine zu kurze Landebahn. Sie kürzte den Etat von 950.000 Euro auf die Hälfte und machte damit sinnvolle Aufarbeitung unmöglich. Und sie warf noch Sprengsätze hinterher: Die erste Sitzung hatte noch nicht begonnen, da posaunte sie bereits durch die Gegend, daß sie von einer finanziellen Entschädigung für die Heimopfer nicht ausgehe. Dies waren Harfenklänge in den Ohren der Täterseite, hier überwiegend der katholischen und evangelischen Einrichtungen und ihren Kirchenfürsten. Weitere unsägliche Äußerungen folgten seitens der Tischvorsitzenden Antje Vollmer. Sie verkündete schon frühzeitig, daß sie sich keine Entschädigung vorstellen könne, die über die Zahlungen an damalige NS-Zwangsarbeitern liegen. Man dürfe diese Gruppe nicht brüskieren. Damit verglich sie die Kartoffel mit der Zuckerrübe. Kein Mensch versteht, was Heimopfer mit Zwangsarbeitern, die ja auch betrogen wurden, zu tun haben. Auch versuchte sie beispielsweise, den Begriff „Zwangsarbeit“ neu zu definieren und damit der Täterseite entgegenzukommen, die Monate lang ihre dumme Ansicht pflegte, dass beispielsweise Torfstechen im Moor vergleichbar mit Geschirrtrocknen in der häuslichen Küche sei. Damit, und mit anderen Äußerungen, gab Antje Vollmer ihre Neutralität auf.

Der Zwischenbericht des RTH war ein einziges Fiasko und dokumentierte seine Unfähigkeit: Viele Angaben waren aus der Luft gegriffen, stimmten mit der Wirklichkeit nicht überein. Die Geschichte der Schwarzen Pädagogik, die am Runden Tisch aufgeklärt werden sollte, war bereits sattsam bekannt. Man erforschte Sachverhalte, die längst zwischen Buchdeckeln und in Bild und Ton dokumentiert waren. Man schwadronierte Einigkeit zwischen Opfer- und Täterseite und konnte doch nicht verhindern, daß vor laufender Kamera diese Einigkeit nicht sichtbar wurde. In dem kurzen Statement einer Vertreterin der Heimopfer wurde die tiefe Kluft zwischen den Opfern und den Nachfolgern des größten Unrechtssystems in der Nachkriegszeit deutlich. Prof. Manfred Kappeler hat den Zwischenbericht in der Luft zerrissen und dazu beigetragen, daß die Geschundenen und Gequälten im Fokus der Öffentlichkeit bleiben.

Viele Opfergruppen bekamen am RTH kein Gehör: Die Schwächsten unter ihnen, Säuglinge und Kleinkinder, können sich nicht daran erinnern, was in den Kinderbetten mit ihnen passierte. Viele wundern sich noch heute über ihren „Hospitalismus“, über ihre Abneigung anderen Menschen gegenüber, über ständige Retraumatisierungen. Erst mit der Arbeit von Dr. Carlo Burschel kam an die breite Öffentlichkeit, was schon Jahrzehnte in Büchern steht: Völliger Entzug von Zuneigung führt zu schweren physischen und psychischen Störungen. Behinderte Heimkinder wurden vom RTH abgewimmelt. Man behauptete schlichtweg, daß der Auftrag des Bundestages diese Gruppe nicht beinhaltet. Ehemalige DDR-Heimkinder werden dort ebenfalls mißachtet.

Die Opfer von Gewalt und Terror in Kinder- und Jugendheimen, unter kirchlichen und staatlichen Dächern, haben in den letzten Wochen Einigkeit demonstriert. Sie wollen eine Opferrente bis zum Lebensende oder einen einmaligen Schmerzensgeldbetrag. Es ist abzusehen, daß sie mit diesen Vorstellungen nicht durchkommen. Ob eine Leistung in Anlehnung an die Zahlungen an NS-Zwangsarbeitern empfohlen wird, ist fraglich. Die Kirchen jedenfalls werden ins kollektive Jammern verfallen und auf ihre Armut infolge von Kirchenaustritten und vieler sozialer Verpflichtungen hinweisen, damit es ihnen nicht an die Geldkassette geht. So wird, wenn überhaupt, der heutige Steuerzahler für die Verbrechen vor 30 bis 60 Jahren in Kinder- und Jugendheimen bestraft.

Zwei Jahre Aufarbeitung am RTH haben das Gefühl unter den Heimopfern manifestiert, daß es den meisten Diskutanten nur darum geht, die Zeit totzuschlagen und damit das Problem biologisch zu lösen. An eine wirkliche Opferhilfe wurde wohl in keiner Sekunde gedacht, obwohl der Theologe Dierk Schäfer seinen unchristlichen Amtsbrüdern entsprechende Vorschläge in den Bibeldeckel schrieb. Eher daran, den Kopf aus der Schlinge der Öffentlichkeit zu ziehen. „Wir werden über den Tisch gezogen“; dies ist nicht nur Meinung der Heimopfer am RTH, sondern längst bekannte Tatsache.

Eine weitere Feststellung macht wütend: Der RTH wehrt sich gegen die Qualifizierung der Heimerziehung als generelles Unrecht. Bis zum heutigen Tage sind die Tätervertreter den Beweis schuldig geblieben, daß es ein Heim gab, in dem keine Gewalt stattfand. Auf der Homepage der Freien Arbeitsgruppe JHH 2006 wurde extra eine Seite eingerichtet, die solche positiven Heime auflisten soll. Diese Seite ist leer.

Helmut Jacob
02. November 2010

http://www.tagesspiegel.de/politik/runder-tisch-zur-heimerziehung-vor-de...
http://www.gewalt-im-jhh.de/Positive_Berichte_ehemaliger_H/positive_beri...
http://dierkschaefer.files.wordpress.com/2010/02/verfahrensvorschlage-rt...