Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch erzählen Teil 6 Meike Wolff aus Niedersachsen

Elisabeth Keller im Gespräch mit Opfern von sexuellem Kindesmissbrauch

Hans Georg van Herste, Autor, Schmerztherapeut, Lebensberater, Herausgeber, war selbst Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch, häuslicher Gewalt und Psychoterror. Seit seiner Jugendzeit macht er Übergriffe gegen Opfer von sexuellem Missbrauch und Diskriminierungen gegen Frauen und Homo- und Transsexuelle öffentlich.
Seine Bücher und Dokumentationen schlugen hohe Wellen, da er kein Blatt vor den Mund nimmt, Tathergänge nicht verniedlicht und eine deutliche Sprache spricht. Obendrein hat er die „Insel-Methode“ erdacht, um Opfern und Betroffenen vor Ort zu helfen.
Diese Vorgehensweise hat ihm nicht nur viel Anerkennung eingebracht, sondern auch viel Ärger, da sich Täter und ihre Helfer und Sympathisanten nicht gern auf die Schliche kommen lassen. Neben Beschimpfungen übelster Art wurde auch eine Verleumdungskampagne großen Stils gegen ihn losgetreten, um ihn unglaubwürdig zu machen. Diese Verleumdungsprofis wussten genau, dass die Worte „Sekte, Sex und finanzielle Ausbeutung“ ihr Ziel nicht verfehlen würden.
Trotzdem hat sich Hans Georg van Herste nicht von seinem Weg abbringen lassen. Die Entwicklungen der letzten Zeit haben ganz klar bewiesen, dass „seine“ Opfer nicht allein sind, dass sie keine Märchen erzählen, und dass seine Aussagen zur Häufigkeit und zur Vorgehensweise der Täter absolut der Wahrheit entsprechen.

Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen, Opfer, die von Hans Georg van Herste begleitet wurden, die keine Angst vor der Öffentlichkeit haben und anderen mit ihrer Aussage Mut machen wollen, zu befragen.

EK Wie alt sind Sie heute?

MW Fünfzig

EK Was machen Sie beruflich?

MW Ich bin Schichtführerin in einem Restaurant.

EK Wer waren die Täter?

MW Mein Vater und meine beiden Onkel

EK Wusste Ihre Mutter davon?

MW Ja, aber die hatte Angst vor meinem Vater.

EK Was hat man mit Ihnen gemacht?

MW Anfangs musste ich immer zuschauen, wenn meine ein Jahr ältere Schwester missbraucht wurde, später kam auch in an die Reihe.

EK Welche Gefühle hatten Sie dabei?

MW Einerseits war ich neidisch auf meine Schwester, weil die mehr Aufmerksamkeit erhielt. Dass diese Aufmerksamkeit mit teilweise wahnsinnigen Schmerzen verbunden war, habe ich damals als Kind nicht begriffen. Der Rest meiner Gefühlswelt bestand aus nackter Angst. Mein Vater und seine Brüder konnten sehr brutal sein. Besonders mein Vater tat sich da hervor. Er quälte Tiere und schrie oft herum, was mich mehr als einmal in Panik versetzte. Im Laufe der Zeit bin ich wohl einfach abgestumpft, um diese Art und Weise überhaupt aushalten zu können. Wenn mein Vater total betrunken über den Hof wankte, sahen alle zu, dass sie aus seinem Gesichtsfeld verschwanden.

EK Ist Ihnen das allein passiert?

MW Ich weiß von meiner älteren Schwester. Ob meine jüngere Schwester auch an die Reihe kam, kann ich nicht sagen. Ich vermute es aber, weil die sich auch irgendwie merkwürdig verhält.

EK Wie alt waren Sie als alles begann?

MW Ich denke, ich war drei oder vier als es begann.

EK Wann endeten die Übergriffe?

MW Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich meine, als meine Periode einsetzte.

EK Haben Sie es jemandem erzählt?

MW Innerhalb unseres Hauses wussten alle Bescheid, aber weder meine Mutter noch meine Oma haben sich getraut, etwas zu unternehmen. Meine Oma hat sich irgendwann aufgehängt, weil sie diese Zustände nicht mehr ertragen konnte.

EK Haben Sie die Täter konfrontiert?

MW Ja. Nach vielen Gesprächen mit Herrn van Herste war mir klar geworden, dass diese Männer mein Leben zerstört hatten. Allerdings hat uns – mein Mann, meine Schwester und deren Ehemann waren auch dabei – mein Vater einfach so rausgeschmissen. So etwas würde er sich nicht anhören. Das hätte uns alles der böse van Herste eingeredet. Damals haben wir uns abspeisen lassen, weil wir offensichtlich immer noch Angst vor ihm hatten. Meine Mutter hat fast hysterisch schreiend erklärt, dass sie unsere Lügen nicht glauben würde und zu ihrem Mann stünde.
Einer meiner Onkel hatte ein schlechtes Gewissen und hat einiges zugegeben. Er hat sich sogar entschuldigt. Das hat uns zwar auch nicht geholfen, aber immerhin hatten wir danach die Sicherheit, dass wir uns nichts eingebildet hatten. Danach haben wir nichts mehr unternommen.

EK Haben Sie Anzeige erstattet?

MW Nein, haben wir nicht. Es wäre sowieso alles verjährt gewesen und der Onkel mit dem schlechten Gewissen ist inzwischen an seiner Drogensucht zugrunde gegangen.

EK Was ist daraus geworden?

MW Ich habe mir ganz früh einen Freund gesucht und mich schwängern lassen, um aus dem Haus zu kommen. Dadurch musste ich zwar meine Banklehre abbrechen, aber das war mir egal. Ich denke, dass ich keine gute Mutter war und die zwei weiteren Kinder nur bekommen habe, um abgesichert zu sein. Mein Mann hat es nicht ewig mit mir ausgehalten und sich scheiden lassen. Dadurch bin ich in ein tiefes Loch gestürzt. Durch meine Schwester bin ich zu Herrn van Herste gekommen, der mit sehr viel Geduld und trotz diverser Rückschläge, die sogar dazu führten, dass ich in die Psychiatrie musste, zu mir gehalten hat. Ohne ihn wäre ich wohl schon nicht mehr am Leben oder würde in einer Gummizelle vor mich hinvegetieren. Auch mein jetziger Partner hat einiges mit mir aushalten müssen und ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die einen auch in schwerster Stunde nicht im Stich lassen.

EK Glauben Sie, dass die Täter weitermachen?

MW Ich weiß nicht, ob die weitergemacht haben. Ich habe damals die Augen verschlossen und wollte einfach nur weg. Heute ist mir klar, dass ich vieles hätte anders machen müssen, es aber nicht gesehen habe oder sehen wollte.

EK Warum sprechen Sie jetzt darüber?

MW Ich mache seit vielen Jahren bei TransBorderLes e.V. mit und habe erst dadurch verstanden, wie viele Missbrauchsopfer es gibt. Ich habe mich damals falsch verhalten und möchte es wieder gutmachen. Ich habe selbst weggeschaut und dadurch Unheil nicht verhindert. Ich möchte die Menschen durch meine Geschichte darauf aufmerksam machen, dass viel Schaden verhindert werden kann, wenn man sich nicht feige versteckt, sondern geradeaus auf Missbrauch und Diskriminierung hinweist. Ich jedenfalls möchte niemals wieder in die Psychiatrie.

EK Vielen Dank, Frau Wolff, für das Gespräch

Buchtipp
Lena Birkthal
Leben im Matriarchat
Eine Reise durch die Geschichte der Frau
ISBN: 9783839120385
136 Seiten
19,90 Euro

Lena Birkthal wächst in wohlhabender Umgebung auf. Erst als ihre Eltern durch einen Autounfall ums Leben kommen und sich alte Freunde merkwürdig benehmen, stellt sie ihr Leben und das Leben ihrer Eltern in Frage. Sie findet nicht nur Waffen im Haus, sondern auch Nacktfotos von sich und ihrer Mutter. Nach und nach lüftet sie das Geheimnis ihrer Familie und fragt sich, warum sich Frauen Benachteiligungen gefallen lassen, ohne sich zu wehren. So macht sie sich auf den Weg durch die Welt, um ehemalige und noch existierende Matriarchatsgebiete zu besuchen.

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