"Rumänische Musicals oder Die Lust auf Salami"

Musicals, wie ich sie hasse. Alle habe ich sie gesehen, angefangen mit dem 60er Jahre Hippie-, Flower-Power-, Antivietnam-Rock-Event HAIR, der politischen Abkehr in den 70ern mit JESUS CHRIS SUPERSTAR, dem kommerziellen Höhepunkt der Jesus-Bewegung, dem Aufbrauch in das neue elektronisch-technische Zeitalter mit EVITA, den TS Eliot-Gedichten in CATS, den Klassiker-Adaptionen von PHANTOM OF THE OPERA, SUNSET BOULEVARD, MISS SAIGON, LES MISERABLES und und und ... .

Musical, ich hasse sie. Und doch ich muss gestehen, sie haben mein Leben begleitet. Ich habe sie in Revuen bearbeitet und als Mix auf die Bühne gestellt; um das Publikum zum Lachen und Weinen zu bringen.
Bunte Träume einer Scheinwelt brachten Abwechslung von der Realität von mehr als 40 Jahren. Manchmal waren es zuckersüße Pralinen, in denen ein wenig bittere Wahrheit verpackt war, aber immer eine ferne Welt, die den Betrachter außen vorließ und zum Voyeur verdammte.
Mehr konnte und wollte auch CHORUSLINE nicht sein, in dem ein paar Dutzend arbeitslose Darsteller sich und ihre eigene Geschichte zum Welterfolg formten, den "American Dream" von Ground Zero zum Erfolgsolymp aufzusteigen, wahr werden ließen, dabei zu sein, zu partizipieren an der erfolgreichen Welt der bunten Musicalträume. Sie sind so fern der Wirklichkeit. Ich hasse sie.

Ich liebe sie, denn sie sind es, die unser Leben so versüßen wie der Besuch in einer Konditorei mit dem verlockenden Überangebot von viel zu viel Kalorien haltigen Leckereien. Oh, wie ich sie liebe, diese ausgemergelten Jungs und Mädchen, die ihr Leben dem alles verzehrenden Musical widmen, das von ihnen Besitz ergreift, sie beherrscht, sie lieben und leiden lässt, um abendlich für ein paar Stunden das Publikum zu betören so wie die böse Hexe oder die gute Fee im Märchenbuch die Kinder verzaubert. Ich liebe sie.

Kann es sein, dass Sie, liebe Leser, in Rumänien noch nicht gänzlich von der bunten Welle der Begeisterung überrollt worden sind? Sind Sie noch nicht überschwemmt und vom schönen Schein und falschen Schein dieses Produkts der ach so "leichten Muse" geküsst wurden? Achten Sie immer noch auf Ihre „schlanke Linie“, wollen Sie sich wirklich dieser zarten Versuchung widersetzen? Wovon wollen Sie träumen, wenn die Wirklichkeit Sie eingeholt hat, wenn der Alltag mit seinen Sorgen und Nöten Sie übermannt hat? Soll es ein Alptraum sein, aus dem Sie nachts aufschrecken, um wieder erschöpft in Ihr Kissen zu fallen, um an den nächsten Morgen zu denken?

Oder darf es doch etwas Anderes sein, mit dem Sie nach einem Theaterbesuch beseelt einschlafen. Wie wäre es mit diese kleine Droge AMERICAN DREAM ? Am Horizont über der Hauptstadt Bukarest sehe ich ihn schon, THE AMERCAN DREAM hat die dunklen Wolken verdrängt und die Nacht dem künstlichen Neonlicht überlassen.

(Miss Saigon – American Dream)

What's that I smell in the air
the American dream
sweet as a new millionaire
the American dream
pre-packed, ready-to-wear
the American dream
fat, like a chocolate eclair
as you suck out the cream

what other place can compare
the American dream
come and get more than your share
the AMERICAN DREAM

Zwei dieser bunten Traumkreationen habe ich in Bukarest aufgespürt. Sie sind bereit, das Publikum aufs Angenehmste zu unterhalten und den Besuchern die Traumwelt zu erhellen. Da ist zum einen die Opereta, die einzige Bühne ihres Zeichens in Rumänien, die sich außer der Pflege der „lieben alten Dame Operette“ des jungen Musicals angenommen hat. Aus Budapest, der Stadt der Musik und der musikalischen Erfolge, hat man dazu die Kerenyi-Produktionen nach Rumänien importiert. Und so feiern aus den fernen US Staaten ROMEO UND JULIA in osteuropäischen Adaption mit eigenem, rumänischem Ensemble ihre dramatisch unterhaltsamen Erfolge. Ein erster gelungener Einstieg in die Welt des West-Musicals. Es wird sicher nicht lange dauern, bis dass ELISABETH und RODOLF, lebendig gewordene Ikonen der österreichisch-ungarischen KuK Monarchie, auch in Bukarest Einzug halten.

Warum eigentlich sollte man hier nicht klugerweise zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und auf der Basis eines klug ausgebauten kulturtouristischen Prinzips die gleichen Erfolge in der rumänischen Metropole feiern wie sie in der ungarischen seit vielen Jahren über die Bühne gehen. Die Besucher kommen in Scharen in das Budapest Operettentheater, um – trotz der Sprachbarriere – sich am Musical zu erfreuen. Das rumänische Tourismusministerium ist hier gefragt und wird sicher lernwillig und lernfähig sein, wenn es darum geht, Devisen via Kultur-Touristen ins Land zu bringen. Bukarest hat viel zu bieten, und die Bukarest-Opereta ist sicher ein Magnet, was die Abendunterhaltung angeht.

Doch auch auf dem alternativen Sektor hat sich Einiges getan. Seit kurzer Zeit taucht immer wieder eine Produktion in das Scheinwerferlicht rumänischer Festivals, ein Ost-Musical mit dem Titel SUPERMARKT hat seinen Weg angetreten, das Publikum zu erobern. Und hier erstaunt der Besucher über das, was Theo Herghelegiuin einem kleinen Off-Theater allabendlich vor etwa 100 Besuchern auf die Bühne stellt. Die Herrin über das TEATRUL INEXISTENT von 1998, worin sie 20 Produktionen auf die Beine stellte, davon acht selbstverfasste, führte in 30 Stücken Regie, wirkte in sechs Filmen mit und hat den Schritt gewagt, um nach erfolgreichem Theaterdebut in Deutschland mit ihrem Stück „Die Mauer“ sich eines Musicals anzunehmen. „Der Text ist ein Libretto für ein klassisches Musical, aber sehr reduziert, mit einem hie und da teilweise oder gar völlig verfehlten Rezept“, so beschreibt die Regisseurin mit männlichem Vornamen überaus bescheiden ihr Werk.

Ein paar Käufer treffen sich zufällig in irgendeinem Supermarkt beim Shoppen. Sie erzählen einander ihre Probleme, verlieben sich, heiraten, rächen sich, bringen sich um, verwandeln sich. (Tutu, z. B., verwandelt sich in eine Salami– die als Inbegriff des Nahrung, also des Überlebens überhaupt in Rumänien vor der Wende galt; anschließend will er das Land bereisen und das ganze Volk ernähren.)
Jeder erwartet etwas, erhofft sich etwas vom Leben. Am Ende muss er sich mit dem begnügen, was das Leben ihm bietet; und das hat nichts mehr zu tun mit dem, was er sich gewünscht hat. Der vierköpfige CHOR kommentiert sarkastisch das, was sich im Supermarkt abspielt. Zum Schluss entdecken wir, dass ein männliches Chor-Mitglied eigentlich die Fee der Werbung war, die sich getarnt unter die Käufer mischt um ihnen endgültig das Gehirn zu waschen.
Es gibt auch eine binarische Gestalt, „zwei Erschrockene“ (so werden sie vorsichtshalber in Rumänien benannt), bestehend aus zwei hübschen und untrennbaren jungen Männern, nur anscheinend schwul, die shoppen gehen, nur um zu sozialisieren und zu begreifen wie die Welt funktioniert mit all ihren Tabus. Am Ende beschließen sie doch sich zu integrieren. (Leider.)

Manuela und Graziela sind zwei „emanzipierte“ junge Frauen, angeberisch, schrill, die dauernd ihre Kolleginnen und Freundinnen beklatschen; sie wetteifern im Shoppen, welche von ihnen mehr und teurer einkauft. Am Ende kennt ihr gegenseitiger Hass keine Grenzen und sie erschießen sich. Der Arbeiter Tutu, er hätte ein Intellektueller werden können, ist ein kleiner Gauner, der zurzeit versucht, eine saubere, ehrliche Existenz zu führen und den Sinn des Lebens in den vollen Regalen sucht.

Romicella ist leicht autistisch und schwer depressiv. Ihr Annäherungsversuch an die Welt besteht darin, dass sie, versteckt hinter den Regalen, den Käufern beim Shoppen zuschaut. Ihre Idylle mit Tutu (sie planen sogar die Heirat, stellen schon eine Shopping-Liste auf) scheitert kläglich: er verwandelt sich in ein Stück Salami, sie wird Kassiererin im Supermarkt. Und irgendwie scheinen sie doch für immer im Supermarkt verbunden.
Dann gibt es noch Mascha – natürlich Tschechows Mascha, die älteste der berühmten Drei Schwestern. Sie sucht Moskau - wo sonst heutzutage, als im Supermarkt, wo man ja alles findet? Als fiktive Gestalt, ist sie die Einzige, deren Wunsch Erfüllung geht. (Man sehe und staune, ohne intellektuelle Komponente geht es scheinbar nicht in Rumänien.) Alle anderen Personen enden im Kompromiss, was ja keinesfalls ein Happy End ausschließt, sondern, im Gegenteil, erst recht möglich macht.

Die Aufführung besteht zu 70% aus Gesang (Musik) und Tanz. Und hier hat Edi Jighirgiu alle Register der Unterhaltung gezogen und spielt zudem eine der wunderbaren Hauptrollen in diesem nicht enden wollenden Prozess von Transformation. Ein Pianoplayer sitzt am Keyboard und begleitet die Rezitative, erstellt die Backgroundgeräusche und spielt noch die voluminös abgemischten Musikplaybacks ein, zu dem die Protagonisten singen, tanzen, lieben und sterben. Das gleiche Thema wie allerorts. Nur den Supermarkt als Spielstätte zu wählen und dem ganzen einen Schlag in die Magengrube des Konsumterrors zu geben, das ist neu. Da hüpfen die Shopaholics und swingen durch die Halle, der Beat reißt mit und reizt zum Mitklatschen. Elektronisch ausgefeilte Technik lässt beinahe vergessen, dass es sich um eine „Kammerproduktion“ handelt.
Frisch und frech kommen die Songs daher, pathetische Aspekte sind angelegt, den Besuchern befreiende Lacher zu entlocken. Und die ganze Geschichte beschreibt luftig und leicht zugleich ein Stück rumänischer Vergangenheit. Erst wenn man weiß, welcher Bedeutung einer Salami im diktatorischen Gefüge zukam, die nur für die oberen Funktionäre reserviert war, unerreichbar für den einfachen Bürger, dann versteht man die Geschichte. Ein „handgestricktes, gutes Stück zeitgemäßer Unterhaltung, das im Übrigen im Westen der EU, mit Untertext versehen, ein Erfolgsgarant sein könnte, ein Musical als Kulturbotschafter Rumäniens. Genial … oder?“ (Dieter Topp)

PPS-Promotion-Presse- Service
Christian Bauer, Chris Rabe, Dieter Topp
EU-Kulturzentrum
Haus Jakobholz 10
D-52391 Vettweiss/Köln
fon 0049-2424-94040
fax 0049-2424-940428
mailto: pps@kfe.de
net: www.kfe.de

AnhangGröße
supermarket-02 500.jpg78.49 KB
07.06.2010: | | |

Über PPS Promotion-Presse-Service

Benutzerbild von PPS Promotion-Presse-Service

Vorname
Christian

Nachname
Bauer

Adresse

EU-Kulturzentrum
Haus Jakobholz 10
D-52391 Köln-Vettweiss

Homepage
http://www.kfe.de

Branche
Kulturnews