Kunstvernichtung in dritter Instanz: Wie die Staatsanwaltschaft die Kunstfreiheit aushebeln will

Der ehemalige Kunsthändler und Galerist Tom Sack, der sich auch als Kunstmaler betätigt und gegen den seit langer Zeit der Vorwurf der „Kunstfälscherei im großen Stil“ im Raum steht, musste in den vergangenen Jahren mehrere Hausdurchsuchungen sowie die Beschlagnahme unzähliger Kunstgegenstände, Unterlagen und Arbeitsmaterialien über sich ergehen lassen. Die ersten Ermittlungen seien bereits vor etwa sechs Jahren aufgenommen, Akteneinsicht erst vor knapp drei Jahren gewährt worden, ist von Strafverteidiger Roman von Alvensleben aus Hameln zu erfahren. So sah sich Tom Sack bald gezwungen, seinen Gewerbebetrieb einzustellen, nicht zuletzt auch wegen des mit den Ermittlungen einhergehenden Reputationsschadens, da sich die Vorwürfe in der recht kleinen und übersichtlichen Branche schnell herumgesprochen hätten: Niemand habe mehr mit ihm Geschäfte machen wollen, offenbar aus Angst, dadurch selbst ins Visier der Ermittler zu geraten. Um sich „kunstgerecht“ gegen die aus seiner Sicht unverhältnismäßige und repressive Behandlung durch die Justiz zu wehren, malte der Beschuldigte im Jahr 2008, nachdem ihm wieder mal unzählige Bilder und Arbeitsmaterialien weggenommen worden waren, ein Porträt des in seinem Fall zuständigen Staatsanwalts auf Leinwand und präsentierte dieses als nunmehr einziges Werk für einen Fantasiepreis von 10.000,00 Euro in seinem Online-Shop.

Der Gemalte fühlte sich durch das im Internet veröffentlichte Bildnis auf den weißen Schlips getreten und sah sein Recht am eigenen Bild nach dem Kunsturhebergesetz verletzt. Er erstattete Strafanzeige gegen Tom Sack. Obgleich ein dementsprechendes Vergehen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung eigentlich ein sogenanntes Privatklagedelikt ist, der Anzeigeerstatter also üblicherweise vom Amts wegen auf den Privatklageweg zu verweisen ist, zog die zuständige Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Bückeburg alle Register - und zwar unter Federführung eines anderen, „unbefangenen“ Staatsanwalts. So wurde der Kollege nicht auf den Privatklageweg verwiesen, sondern man leitete wegen eines „besonderen öffentlichen Interesses“, wie es die Juristen nennen, ein offizielles Strafverfahren ein und beschlagnahmte das Gemälde kurzerhand mit Polizeigewalt aus dem Atelier des Künstlers. Im Rahmen des Strafverfahrens wurde von der Staatsanwaltschaft auch die Vernichtung des Gemäldes beantragt, obgleich digitale Fotos des Werks schon längst unwiderruflich im Internet kursierten.

Tom Sack beschritt gegen die Beschlagnahme erfolglos den zunächst vorgeschriebenen Rechtsweg und erhob schließlich noch im Herbst 2008 Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung der Kunstfreiheit nach Art. 5 des Grundgesetzes (Aktenzeichen: 1 BvR 3259/08). Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache steht bis heute aus.

Ungeachtet dessen nahm das Strafverfahren seinen Lauf: Im März 2009 wurde Tom Sack in erster Instanz vom Amtsgericht Rinteln freigesprochen. Der Staatsanwalt müsse sich das Porträt unter dem Gesichtspunkt der Kunstfreiheit gefallen lassen. Die Staatsanwaltschaft legte umgehend Rechtsmittel gegen den Freispruch ein, das Gemälde verblieb in der Asservatenkammer. Fast ein Jahr später, im Februar 2010, fand die Berufungsverhandlung statt. Nun musste sich das Landgericht Bückeburg mit der Sache beschäftigen. Auch hier erhielt die Staatsanwaltschaft eine Abfuhr. Natürlich gab diese nicht auf und verfasste eine ausführliche Revisionsschrift. In der sechsseitigen Begründung wird, entgegen der gängigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, unter anderem die Meinung vertreten, dass die Kunstfreiheit bei zugleich vorhandenen kommerziellen Interessen stärker in den Hintergrund zu treten habe. Neben künstlerischen Zwecken seien kommerzielle Interessen bei der Präsentation eines Kunstwerks in einem Online-Shop eben immer auch gegeben. Somit würden die Belange des Gemalten, der als Staatsanwalt zudem ein Recht auf Anonymität habe, hier überwiegen. Tom Sack entgegnet allerdings, dass gerade die Platzierung des Bildes in seinem Shop Teil seiner Kunstaktion gewesen sei. Es habe hierdurch zum Ausdruck kommen sollen, dass eben dieser Staatsanwalt dafür verantwortlich sei, dass in seinem Shop nunmehr keine weiteren Kunstgegenstände zum Verkauf stünden, er nun pleite sei und dringend Geld brauche. Es sei klar gewesen, dass das Bild niemals für so einen Preis weggehe. Er habe es gar nicht verkaufen wollen. Im Übrigen sei ein Staatsanwalt eine Person des öffentlichen Lebens.

Der Fall kommt nun also vor das Oberlandesgericht Celle, wo ein Strafsenat über das Schicksal des Gemäldes befinden muss. Interessierte können die staatsanwaltschaftliche Revisionsbegründung auf der Internetseite des Künstlers unter http://www.tomsack.com einsehen.

Bis heute gab es übrigens keine Gerichtsverhandlung wegen der eigentlichen Vorwürfe. Eine von dem gemalten Staatsanwalt selbst verfasste Anklageschrift wurde Anfang 2009 beim Landgericht Bückeburg eingereicht - die Anklage lautete auf gewerbsmäßigen Betrug und gewerbsmäßige Urkundenfälschung und das Verfahren sollte vor einer Großen Strafkammer stattfinden. Kurz später gab es eine höchstrichterliche Schelte: Das Oberlandesgericht Celle attestierte der Staatsanwaltschaft schlampigste Ermittlungen, wie man es den ebenfalls auf Sacks Internetseite veröffentlichten Gerichtsunterlagen entnehmen kann. Nur wenige Anklagepunkte wurden zur Hauptverhandlung zugelassen, eine Verurteilung sei hier jedoch kaum noch zu erwarten, so Rechtsanwalt von Alvensleben. Für diese Form der „Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache“ wurden übrigens schon mehrere Geldstrafen gegen den Künstler verhängt. Einschlägig ist hier § 353d Nr. 3 des Strafgesetzbuchs, wonach die vorschnelle Veröffentlichung von amtlichen Schriftstücken aus einem Strafverfahren unter Strafe gestellt ist. Von Alvensleben: „Es ist fraglich, ob mein Mandant hier selbst überhaupt Täter im Sinne dieser Vorschrift sein kann, denn es soll ja gerade die Vorverurteilung von mutmaßlichen Straftätern verhindert werden. Hier hat mein Mandant allerdings selbst die Veröffentlichungen vorgenommen, womit quasi eine tatbestandsausschließende Einwilligung vorliegt. Es gibt auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach bei der Anwendung der Strafvorschrift auf den Willen des Betroffenen abzustellen ist. Wir sind deshalb gegen alle diesbezüglichen Urteile in Berufung gegangen.“

Mittlerweile setzt Tom Sack sein Jurastudium fort, welches er vor seiner Selbständigkeit „aus jugendlichem Leichtsinn“, wie er selbst sagt, unterbrochen hatte und übt nebenbei weiterhin seine freiberufliche Tätigkeit als Kunstmaler aus.

AnhangGröße
staatsanwalt-lueth.jpg208.07 KB