Das Elend der Leiharbeiter

So werden Arbeitnehmerrechte ausgehebelt

Zeitarbeit boomt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hat sich die Zahl der Leiharbeiter innerhalb von zwölf Jahren von 180.000 auf 750.000 mehr als vervierfacht. Immer häufiger gehen Firmen dazu über, festangestellte Arbeitnehmer durch Leiharbeiter zu ersetzen. Nicht selten werden ehemalige Firmenmitarbeiter, denen gekündigt wurde, als Leiharbeiter wieder eingestellt – zu deutlich schlechteren Konditionen.

Beispiel Drogerie-Kette Schlecker: Der Konzern ist dabei, kleinere Filialen zu schließen und sich auf größere, so genannte XL-Märkte zu konzentrieren. Allein 2009 hat Schlecker rund 1.000 kleine Niederlassungen dichtgemacht und dafür über 250 XLGeschäfte eröffnet. Für diese Märkte besorgte sich Schlecker über die Zeitarbeitsfirma Meniar das Personal, das häufig zur alten Stammbelegschaft gehörte. Statt 12,70 Euro die Stunde erhalten dieselben Beschäftigten jetzt 6,78 Euro. Zudem entfallen Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

EIN „SOZIALER SKANDAL“

Schlecker ist kein Einzelfall. Nordrhein-Westfalens DGB-Vorsitzender Guntram Schneider erklärte kürzlich, auch in der Metall- und Elektroindustrie oder im Maschinenbau gebe es Betriebe, die eigens deshalb Leiharbeitsfirmen gegründet hätten, um auf diesem Weg die Stammbelegschaften zu ersetzen. Das sei ein „sozialer Skandal“. In diesem Sinne forderte beispielsweise auch der Deutsche Journalistenverband (DJV), die Leiharbeitspraxis in Verlagen zu prüfen. In manchen Zeitungsredaktionen arbeiteten Journalisten als Leiharbeiter zu deutlich schlechteren Konditionen als Festangestellte.

Das Perfide an dieser Entwicklung ist, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausdrücklich den Grundsatz der Gleichberechtigung von Leiharbeitern mit dem Stammpersonal in den Firmen vorschreibt. Das soll gerade auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit garantieren. Auch die 2008 verabschiedete EU-Leiharbeitsrichtlinie, die dem deutschen Recht nachgebildet wurde, sieht vor, dass Zeit- und Leiharbeiter in der Europäischen Union gleiche Rechte und gleiche Bezahlung erhalten sollen wie Festangestellte der Unternehmen, in denen sie arbeiten.

Doch die Sache hat einen Haken: Noch unter der rot-grünen Bundesregierung wurde eine Ausnahmeklausel in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eingebaut, die sich jetzt ebenso in der Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union findet. Der Grundsatz der gleichen Rechte und der gleichen Bezahlung gilt nicht, sofern in Tarifverträgen abweichende Vereinbarungen festgeschrieben werden. Was auf den ersten Blick harmlos klingt, hat in der Praxis drastische Auswirkungen. Heute wird die große Mehrheit der deutschen Leiharbeiter nach einem solchen Sondertarif bezahlt und nicht gemäß dem Gleichbehandlungsgrundsatz.

TRAURIGE REALITÄT

Nach Angaben der Initiative „Gütesiegel Zeitarbeit“ gibt es deutschlandweit rund 8.000 Leiharbeitsunternehmen. Etwa die Hälfte davon seien „schwarze Schafe“, die ihre Angestellten nur schlecht bezahlten. Dass jemand für mehr als 160 geleistete Arbeitsstunden am Ende des Monats nur 600 Euro auf sein Konto überwiesen bekomme, während sein festangestellter Kollege das Doppelte erhalte, sei absolut kein Einzelfall. Traurige Realität in Deutschland ist, dass heute jeder achte Leiharbeiter so wenig verdient, dass er damit sein Existenzminimum nicht bestreiten kann und auf ergänzende Hartz-IV-Unterstützung angewiesen ist. Armut trotz Vollzeitbeschäftigung bestimmt damit das Leben von immer mehr Leiharbeitern bei uns. Eine Armut, die sich natürlich später einmal bei der Rente fortsetzt. Für Firmen wiederum, die Leiharbeiter zu solchen Dumpinglöhnen beschäftigen, ist das eine lukrative Möglichkeit, Kosten beim Steuerzahler abzuladen.

Die Hoffnung vieler Leiharbeiter, einmal von dem entleihenden Unternehmen fest angestellt zu werden, trügt leider in aller Regel. Nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden durchschnittlich nur 15 Prozent der Zeitarbeiter von ihren Entleihern fest angestellt. Damit wird eines der Hauptargumente der Befürworter der Zeitarbeit, dass damit vielen Menschen langfristig der Weg in ein festes Arbeitsverhältnis eröffnet werde, widerlegt.

ZWEIKLASSEN-GESELLSCHAFT

Die Benachteiligung der Leiharbeiter gegenüber Festangestellten betrifft aber nicht nur den Lohn, sondern auch den Kündigungsschutz. Diese Benachteiligung hat in Deutschland mittlerweile ein Ausmaß erreicht, dass sich vor kurzem sogar die OECD zu Wort meldete. Nach den Feststellungen der OECD sind Zeitarbeiter in Deutschland im internationalen Vergleich besonders schlecht geschützt. „International fällt Deutschland durch eine Zweiklassen-Gesellschaft am Arbeitsmarkt auf“, erklärte der Sprecher der OECD in Deutschland, Matthias Rumpf. Während die Bundesrepublik laut einem OECD-Indikator beim Kündigungsschutz der Festangestellten zu den drei Mitgliedsländern mit dem höchsten Niveau gehört, rangiert sie bei den Zeitarbeitern und befristet Beschäftigten im Vergleich der 30 OECD-Mitglieder in der unteren Hälfte.

Bis 1971 war in Deutschland die Verleihung von Arbeitnehmern verboten. Von der Zulassung von Zeitarbeitsfirmen hatte man sich dann einen flexibleren Arbeitsmarkt versprochen, der sowohl Firmen als auch Arbeitnehmern zusätzliche Vorteile bieten würde. Tatsächlich hat Zeitarbeit auch ihren Sinn. Sie hilft Unternehmen, Schwankungen im Personalbedarf kurzfristig auszugleichen. Arbeitgeber müssen die Möglichkeit haben, Spitzen beim Personalbedarf abzudecken, ohne sich langfristig zu binden. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass durch Leiharbeit der Kündigungsschutz systematisch unterlaufen und die Löhne gedrückt werden, zum Teil sogar bis unter das Existenzminimum. Hier muss dringend nachgebessert werden.

Zwei Lösungsmöglichkeiten bieten sich an: Erstens die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns für Leiharbeiter. Diese ebenso nahe liegende wie effektive Maßnahme wird jedoch sowohl von den Unionsparteien wie von der FDP kategorisch ausgeschlossen. Zweitens die Behebung des Grundübels an der heutigen gesetzlichen Regelung der Leiharbeit: Die Abschaffung der Ausnahmeklausel, die im Juristendeutsch „Tarifvorbehalt“ genannt wird, wonach der Grundsatz der gleichen Rechte und des gleichen Lohns nicht gilt, wenn für Leiharbeiter ein eigener Tarifvertrag existiert. Es ist jedoch mehr als fraglich, ob die Bundesregierung den Mut für eine solche Maßnahme aufbringt. Schon warnt der Bundesverband der deutschen Industrie vor „übertriebenem Aktionismus“ in Bezug auf Leiharbeit.

Wenn von der Politik keine Lösung der drängenden Probleme zu erwarten ist, richten sich wie schon so oft auch dieses Mal die Augen auf die Justiz. Das Landesarbeitsgericht Berlin/Brandenburg hat kürzlich den christlichen Gewerkschaften das Recht abgesprochen, Tarifverträge in der Zeitarbeit abzuschließen. Sollte das Bundesarbeitsgericht dies bestätigen, würde dies die Chancen der Leiharbeiter auf faire Behandlung und gleichen Lohn deutlich erhöhen.

Dr. Petersen


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