Wer dirigiert im Parlament?

Die Macht der Lobbyisten

Das Wort „Lobby“ kommt aus dem Englischen. Es bezeichnet die Wandelhalle und die Gänge vor dem Saal, in denen das Parlament tagt. Dort treffen sich seit jeher Abgeordnete mit Nicht-Abgeordneten, um über die Angelegenheiten zu verhandeln, über die später im Parlament abgestimmt wird.

AN DIE SCHALTZENTRALEN DER MACHT

Heute verwendet man den Begriff „Lobby“ für die Vertreter von bestimmten Interessengruppen, die versuchen, Einfluss auf die Entscheidungen im Parlament zu nehmen. In der Bundesrepublik schicken diese Interessengruppen ihre Vertreter nach Berlin und in die anderen Schaltzentralen der Macht, um dort bei den Abgeordneten für ihre Interessen zu werben, um so für sie günstige Gesetze zu erreichen (oder unangenehme Gesetze zu verhindern). Noch stärker als Berlin steht übrigens Brüssel im Zentrum der Lobbytätigkeit. Was kein Wunder ist, werden doch weit über die Hälfte aller wichtigen politischen Entscheidungen heute von der EU getroffen.

Grundsätzlich ist die Tätigkeit von Lobbyisten und Lobbyverbänden erlaubt und nicht zu beanstanden. Denn jedermann steht es frei, Kontakt zu Abgeordneten zu suchen und für seine Interessen zu werben. Problematisch wird es aber, wenn durch die Lobbytätigkeit bestimmte, in der Regel finanzkräftige Interessengruppen einen übermäßigen Einfluss auf die Politik gewinnen. Allen Bemühungen zum Trotz, die Tätigkeit von Lobbyisten etwa durch Anzeigepflichten öffentlich und damit kontrollierbar zu machen, findet die Einflussnahme heute meist versteckt statt. So arbeiten Lobbyisten in Ministerien bei der Erstellung von Gesetzesentwürfen mit, Arbeitgeberkampagnen wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft geben sich als bürgernahe Reformbewegungen, Abgeordnete bekommen dubiose Nebeneinkünfte.

Allgemein stehen Lobbyisten nicht gerne in der Öffentlichkeit. Immer wieder greifen sie auch zu manipulativen Methoden und versuchen, Politik und Öffentlichkeit mit verdeckten Kampagnen unter falscher Fahne zu beeinflussen. Bei vielen der rund 5.000 Lobbyisten in Berlin ist unbekannt, wessen Interessen sie vertreten. Niemand weiß, wer alles mit wie viel Geld und in wessen Auftrag in der Politik mitmischt. Damit entzieht sich die Lobbytätigkeit weitestgehend einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit und öffnet dem Missbrauch Tür und Tor.

„POLITIK DER DREHTÜR“

Besonders problematisch ist die Mitarbeit von Firmenvertretern und Interessensgruppen in Ministerien, vorzugsweise bei der Ausarbeitung von neuen Gesetzesentwürfen. In den USA gibt es dafür den Begriff „Politik der Drehtür“: Von der Firma ins Ministerium und zurück in die Firma. Dass solche externen Ministeriumsmitarbeiter wohl kaum neutral und nur dem Dienst am Volke verpflichtet sind, versteht sich von selbst. Dennoch hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass in den Jahren 2004 bis 2006 zwischen 88 und 106 externe Mitarbeiter in den Spitzenbehörden beschäftigt worden sind. Bei mehr als 60 Prozent der Fälle wurden die Kosten nicht oder nur in geringem Umfang von den Behörden getragen.

Der Bundesrechnungshof hat dazu festgestellt: „Externe Beschäftigte waren auch in Tätigkeitsfeldern eingesetzt, die hinsichtlich ihrer politischen Bedeutung, ihres Zugangs zu internen Informationen oder ihrer Nähe zu den Interessenschwerpunkten der entsendenden Stelle eine herausgehobene Position hatten. Sie waren auch an der Erarbeitung von Gesetzes-/Verordnungsentwürfen, sonstigen Regelungen, an Vergabeverfahren und an Leitungsvorlagen beteiligt, außerdem wirkten sie bei der Außenvertretung der Bundesregierung mit. (…) In diesen Bereichen waren besondere Einflussmöglichkeiten mit erheblicher Tragweite erkennbar, die nach Auffassung des Bundesrechnungshofes auf ein erhöhtes Risikopotential hinweisen.“

Jochen Bäumel von Transparency International Deutschland e.V., einer gemeinnützigen Vereinigung zur Bekämpfung von Korruption, sagt dazu: „Für Transparency ist es wichtig, dass Interessenkonflikte vermieden werden. Nur dann kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Integrität und Neutralität der Verwaltung aufrechterhalten werden.“ Transparency fordert zu Recht ein Verbot der Mitwirkung von externen Mitarbeitern
1) an Gesetzentwürfen und anderen Rechtsetzungsakten,
2) an der Vergabe öffentlicher Aufträge und
3) an Funktionen, die konkrete Geschäftsinteressen der entsendenden Stellen berühren.

FÜR LOBBYISTEN-REGISTER

Ähnliche Forderungen erhebt auch LobbyControl, ein gemeinnütziger Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären will. Beide Vereinigungen fordern darüber hinaus eine Reform der Regelungen der Abgeordnetenbestechung, damit für Abgeordnete endlich auch gilt, was für Beamte und Richter selbstverständlich ist: dass man in dienstlichem Zusammenhang kein Geld und keine geldwerten Vorteile annehmen darf. Ferner wird eine Fortentwicklung der Regelungen der Parteienfinanzierung gefordert, die Veröffentlichung der Nebeneinkünfte der Abgeordneten und eine Ausweitung der bestehenden Anzeige- und Veröffentlichungspflichten.

Eine zentrale Forderung beider genannter Vereinigungen besteht in der Einführung einer Karenzzeit für Minister auf Bundes- oder Landesebene und Staatssekretäre. Damit soll verhindert werden, dass Spitzenpolitiker unmittelbar nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt in die Wirtschaft wechseln, wie man das etwa beim früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem Wechsel zu Gazprom gesehen hat. Hintergrund der Forderung ist, dass nur besonders finanzkräftige Unternehmen sich die Dienste eines ehemaligen Spitzenpolitikers (der natürlich sein gesamtes riesiges Netzwerk mit einbringt) leisten und sich damit einen einseitigen Vorteil sichern können.

Die wichtigste Forderung von Transparency Deutschland und LobbyControl ist die Einführung eines Lobbyisten-Registers. Das gilt nicht nur für Berlin, sondern auch für Brüssel. Etwa 15.000 bis 20.000 hauptamtliche Interessenvertreter sind dort beschäftigt, um die einzelnen Richtlinien und Verordnungen im Sinne ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Fast zwei Jahre, nachdem die Europäische Kommission ein freiwilliges Lobbytransparenzregister gestartet hat, sind 60 Prozent der professionellen Brüsseler Lobbyberatungen nach wie vor nicht registriert.

ALLIANZ DER GROSSUNTERNEHMEN

Wie effektiv verdeckte Lobbytätigkeit in Brüssel funktioniert, zeigte kürzlich eine britische Studie auf, die im Januar in der Medizinzeitschrift „Public Library of Science“ erschien. Das Forscherteam um Katherine Smith von der Universität Bath stützte sich bei seinen Recherchen auf interne Dokumente der Tabakindustrie, die im Zuge von Schadensersatzprozessen in den USA an die Öffentlichkeit kamen. Eine Allianz von Großunternehmen und Wirtschaftsverbänden, die vom Zigarettenhersteller British American Tobacco („Lucky Strike“) ins Leben gerufen worden war, setzte in den 90er Jahren durch, dass EU-Gesetze vorab auf ihre ökonomischen Kosten zu untersuchen sind und dass dabei vor allem die betroffenen Branchen gehört werden sollen. Im Klartext bedeutet dies, dass Gesetzentwürfe etwa zum Gesundheitsschutz wieder in der Schublade verschwinden oder aufgeweicht werden, falls sie nach Meinung der betroffenen Branchen zu hohe Kosten verursachen könnten.

Bei British American Tobacco (BAT) hatte man Mitte der 1990er Jahre die Idee, das Grundproblem der Gesetzesfolgenabschätzung zu nutzen, um die Pläne der EU für weitergehende Rauch- und Werbeverbote für Tabakerzeugnisse zu vereiteln oder zumindest zu verzögern. Zur Tarnung wurde die Lobbykampagne nach außen nicht von BAT und den anderen interessierten Unternehmen betrieben. Stattdessen wurde als „Frontorganisation“ das „European Policy Centre“ (EPC), eine Brüsseler Denkfabrik mit exzellenten Verbindungen zur EU-Administration, vorgeschickt.

DIE NUTZNIESSER

Die Folge dieser erfolgreichen Lobbytätigkeit zeigt sich heute allerorten: Wer den möglichen Nutzen beispielsweise eines Gesetzes für den Schutz der Umwelt oder der Gesundheit relativieren will, braucht nur die angeblichen finanziellen Belastungen aufzubauschen und den behaupteten Verwaltungsaufwand ins Groteske zu steigern. So geschehen etwa bei der EU-Chemikalienverordnung, die im Juni 2007 in Kraft getreten ist. Ursprünglich zielte das Gesetz zur „Registrierung, Evaluierung und Autorisierung chemischer Stoffe“ (REACH) darauf ab, die rund 100.000 in Europa hergestellten und verwendeten Chemikalien auf ihre Gesundheits- und Umweltverträglichkeit hin zu testen und gefährliche Substanzen durch weniger gefährliche zu ersetzen.

Die Gesetzesinitiative stieß bei der europäischen Chemieindustrie auf vehementen Widerstand. Die angehörten Chemieunternehmen malten in geradezu absurder Weise das Gespenst einer „Deindustrialisierung Europas“ als Folge der geplanten Regelung an die Wand. Die verantwortlichen EU-Politiker ließen sich von der Vorhersage millionenfacher Arbeitsplatzverluste so sehr verunsichern, dass sie den Geltungsbereich der Chemikalienverordnung stark einschränkten und die Pflicht zur Ersetzung gefährlicher Stoffe aufhoben.

Das jüngste Beispiel erfolgreicher Lobbytätigkeit der Industrieverbände in Brüssel ist noch keinen Monat alt: Der Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments sprach sich gegen die von Verbraucher- und Ärzteverbänden geforderte „Ampelkennzeichnung“ von Lebensmitteln aus. Wieder einmal ein Sieg der großen Industriekonzerne, die dieses Vorhaben zur wirksamen Verbraucherinformation durch gezielte Lobbytätigkeit torpediert haben. Den Schaden haben die Bürger.

Dr. Petersen


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