Das afghanische Desaster

Was hat die Londoner Afghanistan-Konferenz gebracht?

Erklärtes Ziel der Afghanistan-Konferenz von letzter Woche in London, an der Vertreter von rund 70 Ländern und internationalen Organisationen teilnahmen, war es, den Grundstein für einen vollständigen Abzug der internationalen Truppen zu legen.

Völlig unlogisch erscheint das Vorhaben, erst einmal im laufenden Jahr durch eine massive Aufstockung der internationalen Truppen die Voraussetzung für eine Befriedung Afghanistans und damit für einen Abzug zu schaffen. Bisher war es so, dass immer mehr fremde Soldaten und im Gefolge immer mehr zivile Opfer den Widerstandsgeist der Afghanen immer mehr anfachten und den Taliban immer mehr Anhänger und Mitkämpfer bescherten. Beobachter gehen davon aus, dass die Taliban bereits annähernd die Hälfte Afghanistans unter Kontrolle halten.

Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (Isaf), an der inzwischen 40 Nationen aus NATO-Staaten wie auch Nicht-NATO-Staaten beteiligt sind, umfasste 2003 5.500 Soldaten, 2006 19.600 und im Dezember 2009 über 84.000. Mit dem Ergebnis, dass die Taliban heute so stark und militärisch schlagkräftig wie noch nie seit ihrer Vertreibung von der Macht durch die US-Armee sind. Den Irrweg der laufenden Truppenverstärkung weiter zu gehen – allein die USA wollen ihre Streitmacht um 30.000 Soldaten vergrößern –, gleicht einem Versuch der Feuerwehr, immer mehr Öl ins Feuer zu gießen in der Hoffnung, damit den Brand schneller löschen zu können.

MASSIV GEWACHSENES RISIKO

Man fragt sich, warum eine deutsche Delegation an der Londoner Konferenz überhaupt noch teilnahm, nachdem Bundeskanzlerin Merkel bereits tags zuvor in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag die deutsche Bereitschaft verkündete, die derzeit 4.500 Bundeswehrsoldaten des Afghanistan-Einsatzes um 850 auf 5.350 zu erhöhen. 500 der zusätzlichen Soldaten sollen zur Ausbildung afghanischer Regierungssoldaten herangezogen werden, 350 als strategische Reserve dienen. Insgesamt soll das Bundeswehr-Kontingent so umgruppiert werden, dass 1.400 deutsche Soldaten statt bislang 280 „zum Schutz der Bevölkerung und für die Ausbildung“ bereitstehen. Außerdem soll die Zahl der deutschen Polizeiausbilder von 123 auf 200 aufgestockt werden.

Nun klingt „Schutz der Bevölkerung und Ausbildung“ eher harmlos. Die dafür vorgesehene Strategie aber, die dem Vernehmen nach von den USA festgelegt wurde, ist mit einem massiv gewachsenen Risiko für die deutschen Soldaten verbunden. Sie sollen nämlich künftig ihre befestigten Lager und gepanzerten Fahrzeuge in großer Zahl verlassen und die von ihnen ausgebildeten afghanischen Soldaten überall dorthin begleiten, wo sie gebraucht werden, auch im schwer umkämpften Süden Afghanistans.

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, kommentierte das mit den Worten, die Bundesregierung setze die deutschen Soldaten mit ihren jüngsten Entscheidungen „aus innenpolitischen, koalitionstaktischen Gründen für mehrere Jahre einem erhöhten Risiko aus – in der Hoffnung, die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte werde ab 2011 einen geordneten Rückzug erlauben“. Nachzutragen bleibt, dass bislang ein nicht unerheblicher Teil der ausgebildeten afghanischen Soldaten und Polizisten mitsamt ihren Waffen zu den Taliban übergelaufen ist.

Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bestritt, dass das neue Konzept die Gefahr für die Soldaten erhöhe. Vielmehr erhöhe sich das Risiko für Angreifer durch die „kompakte und geschlossene Präsenz in der Fläche“. Die markigen Worte passen zum deutschen Verteidigungsminister, der den von einem deutschen Oberst offenbar regelwidrig angeordneten Luftangriff auf zwei unbeweglich gewordene Tanklastzüge mit Dutzenden getöteter Zivilisten zunächst als „militärisch angemessen“ bezeichnet hatte. Immerhin gab Guttenberg zu, Afghanistan sei ein „gefährlicher Einsatzort“ und es könne immer Gefallene und Verwundete geben.

VERGEBLICHE HOFFNUNG?

Ab 2011, so stellt nun die Bundesregierung in Aussicht, könne damit begonnen werden, den Umfang der deutschen Truppen zu senken. Und 2014 (bezeichnenderweise erst nach der nächsten Bundestagswahl) könne hoffentlich die afghanische Regierung die Verantwortung für das Land übernehmen. Man sei sich darin einig, so auch in der Abschlusserklärung der Afghanistan-Konferenz, dass nun eine „neue Phase auf dem Weg zu völliger afghanischer Eigenverantwortung“ beginne. Dabei sind sich sehr viele militärische Experten darüber einig, dass der afghanische Präsident Karsai mitsamt seinem korrupten System ohne den Schutz der fremden Truppen keinen Tag überleben könnte. Kein Wunder, dass Karsai in London sein Bestreben verkündete, Afghanistan bis 2014 durch eigene Truppen sichern zu wollen, zugleich aber prognostizierte, ausländische Truppen müssten noch bis zu 15 Jahre in Afghanistan stationiert bleiben.

Warum aber soll der von Anfang an aussichtslose Versuch, dem traditionell völlig anders strukturierten afghanischen Volk eine Gesellschaftsordnung nach westlichem demokratisch-parlamentarischem Vorbild aufzuzwingen, noch einige weitere verlustreiche Jahre fortgeführt werden, anstatt ihn umgehend abzubrechen? Deutschland provoziert mit dem Bundeswehr-Einsatz nicht nur die Feindschaft der bislang deutschfreundlichen islamischen Welt und muss irgendwann mit Gegenschlägen auf deutschem Boden rechnen, auch die Leben und Gesundheit aufs Spiel setzenden Soldaten erbringen ein sinnloses Opfer. Ihr im Grundgesetz festgeschriebener Auftrag ist die Landesverteidigung und nicht die Unterstützung amerikanischer Eroberungskriege.

WER IST INTEGRIERT?

Die hohen Kosten des Afghanistan-Einsatzes sind angesichts der nur schwer zu verkraftenden Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland ebenfalls ein Irrsinn. Jetzt hat die Bundesregierung auch noch zugesagt, die deutschen Hilfszahlungen an Afghanistan von derzeit 220 Millionen Euro pro Jahr auf 430 Millionen Euro fast zu verdoppeln. Die Hälfte aller aus mehreren Ländern an den Hindukusch fließenden Hilfsgelder soll von der afghanischen Regierung verwaltet werden. Dass ein Großteil der Gelder in dem vom Wahlfälscher Karsai errichteten korrupten System, das bis weit in die Regierung hineinreicht, in dunklen Kanälen versickern wird, liegt auf der Hand.

Zudem wurde auf der Londoner Konferenz ein „Aussteigerprogramm für Taliban“ beschlossen, das sich offenbar an den deutschen Aussteigerprogrammen für „rechtsextreme Jugendliche“ orientiert und von Kritikern als „Abwrackprämie für Taliban“ verhöhnt wird. Hierfür wird ein Fonds in Höhe von 350 Millionen Euro aufgelegt, in den Deutschland 50 Millionen Euro einzahlt. Es soll versucht werden, „Aufständische mit finanzieller Hilfe in die afghanische Gesellschaft zu integrieren“. Dabei sind die Taliban wesentlich besser in die afghanische Gesellschaft integriert als die Helfershelfer des vom Westen eingesetzten Herrschaftssystems.

Die Regierungschefs, die sich an der Seite der USA auf das Afghanistan-Abenteuer eingelassen haben, hätten vielleicht einen Blick ins Geschichtsbuch werfen sollen. Alle, die in den vergangenen 200 Jahren das Land am Hindukusch unterwerfen wollten, sind gescheitert. Die Völker und Stämme Afghanistans, einem Land, in dem 40 verschiedene Sprachen gesprochen werden, trugen zwar immer wieder heftige Fehden untereinander ans, schlossen sich aber stets gegen äußere Angreifer eng zusammen. Eine Fremdherrschaft zu akzeptieren, liegt außerhalb ihres Vorstellungsvermögens.

BLICK INS GESCHICHTSBUCH

Drei britisch-afghanische Kriege im Zeitraum von 1839 bis 1919 gingen für die damals mächtigste Kolonialmacht verloren. Nach blutigen Gefechten erreichte der Arzt William Brydon am 13. Januar 1842 als einer der letzten überlebenden Engländer die britisch besetzte Festung Jalalabad, was Theodor Fontane zu dem Gedicht „Das Trauerspiel von Afghanistan“ inspirierte. Letzter Vers: „Die hören sollen, sie hören nicht mehr / Vernichtet ist das ganze Heer / Mit dreizehntausend der Zug begann / Einer kam heim aus Afghanistan.“ Es entbehrte daher auch nicht einer gewissen Pikanterie, dass die Afghanistan-Konferenz in London stattfand.

Auch der Sowjetunion erging es nicht anders. 1979 marschierte die Rote Armee in Afghanistan ein, zwischen dem 15. Mai 1988 und dem 15. Februar 1989 musste sie sich in mehreren Schritten wieder zurückziehen. Rund 15.000 Gefallene waren zu beklagen. Die bis zu 130.000 Sowjetsoldaten, die in Afghanistan im Einsatz waren, unterstützt von 30.000 im sowjetischen Zentralasien stationierten Angehörigen der Luftwaffe, waren nicht imstande, mit der Guerilla- Strategie der Afghanen fertig zu werden. Diese bestand darin, punktuell zuzuschlagen und sich dann abzusetzen. Damit machten sie ihre Schwäche an schwerem Material und fehlende Luftstreitkräfte wett. Auch mit milliardenschweren Hilfszahlungen konnte Moskau die Afghanen nicht gewogen machen, zumal die Gelder von den eingesetzten afghanischen Amtsträgern größtenteils unterschlagen wurden.

Auch der Isaf-Truppe wird es nicht gelingen – selbst wenn sie am Ende mehr Soldaten in ihren Reihen haben sollte als ehemals die Rote Armee –, die Afghanen zu unterwerfen. Es hat daher keinen Sinn, den letztlich unumgänglichen Abzug hinauszuschieben.

Bruno Wetzel


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