An einem Tag beim "Burgdorfer Kreisblatt/Lehrter Stadtblatt": Kündigung und die "Spitze Feder" des Steuerzahlerbundes

Burgdorf bei Hannover, eine Kleinstadt mit knapp 30 000 Einwohnern, Sitz einer Lokalzeitung, die seit mehr als einem Jahrhundert besteht. In den 1980er-Jahren ist die Auflage im Keller, der Verleger holt sich einen Berater, der krempelt die Redaktion um. Die Zeitung wird frecher, die Auflage steigt wieder. Doch: Das „Burgdorfer Kreisblatt/Lehrter Stadtblatt“ bleibt eine Mittagszeitung. Pendlerinnen und Pendler, die morgens nach Hannover fahren, lesen deshalb die Zeitung nicht. 1986 wird das Blatt eingestellt. 25 Jahre später will Heinz-Peter Tjaden, 1984 und 1985 Lokalredakteur beim „Burgdorfer Kreisblatt/Lehrter Stadtblatt“, die Geschichte dieser Zeitung in einem Buch erzählen. Zu diesen Geschichten gehört diese von Tjaden Erlebte:

An Tagen wie diesem 14. November 1985 geschieht: Eine "Kreisblatt"-Sekretärin kommt herein, wirft einen verschlossenen Briefumschlag auf meinen Schreibtisch. Darin: meine Kündigung zum 31. Dezember 1985. Begründung: kritische Berichterstattung, die zu einem Heimatblatt nicht passe. Bei einem Spaziergang atme ich erst einmal durch, bei meiner Rückkehr empfängt mich mein Kollege Martin Lauber mit der Nachricht: "Der Steuerzahlerbund hat angerufen. Du bekommst einen Preis."

"Verarschen kann ich mich auch alleine", antworte ich. Martin Lauber gibt mir einen Zettel mit einer Telefonnummer. Die rufe ich an. Tatsächlich: Ich soll mit dem Journalistenpreis "Die spitze Feder" ausgezeichnet werden. Der Mann vom Steuerzahlerbund will mir nicht glauben, dass ich soeben die Kündigung bekommen habe.

Ich klage gegen die Kündigung. Paul Rohde, freier Mitarbeiter des "Kreisblattes", fälscht einige meiner Artikel für die Klagebegründung. Der Arbeitsrichter fällt am 4. Februar 1986 auf diese Fälschungen aber nicht herein.

"Den Verleger, der einem kritischen Redakteur kündigt, würde ich gern einmal sehen", sagt der Richter. Mein Verleger sitzt im Publikum. Er steht auf. Bekommt einen roten Kopf.

An Tagen wie diesem 4. Februar 1986 sind alle meine Kolleginnen und Kollegen im Gerichtssaal. Sie wissen bereits: Das "Burgdorfer Kreisblatt" wird es nicht mehr lange geben.

In vergangenen Jahren wie diesen: In vielen Großstädten gibt es mehrere Zeitungen. Sitzt man in den 1970-er Jahren in Mainz in einem Weinlokal, werden sogar Abendausgaben angepriesen, geschieht etwas Außergewöhnliches, erscheinen Extra-Blätter. 30 Jahre später sind unzählige Zeitungen dem Konzentrationsprozess zum Opfer gefallen. Kennt noch jemand ein Familienunternehmen mit einem Herausgeber an der Spitze, der sein Handwerk von der Pike auf gelernt hat? Der Interessengruppen die Stirn bietet und sagt: „Wir tanzen nicht nach Ihrer Pfeife“?

Klüngel hat es zwar schon immer gegeben, aber mit jeder Zeitung, die den Konzentrationsbach heruntergegangen ist, ist das Meinungsbild farbloser geworden. Farbe bringt erst wieder das Internet - aber schon lauern überall Machtgruppen und Zensoren, die Scheren im Kopf wollen. Schnipp, das darf nicht berichtet werden. Schnapp, das verrät man doch nicht.

Peter Hahne beschäftigt sich heute in der „Bild am Sonntag“ mit dem Klimagipfel und gesteht, dass er auf diesem Gebiet Laie ist. Davon brauchen wir mehr? Mehr Journalisten, die sich nicht mit einem Thema auseinandersetzen, bevor sie darüber schreiben? Mag sein, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch solche Redakteure mag. Wer weiß: Beim ZDF wird der Stuhl des Chefredakteurs frei. Peter Hahne passt drauf. Also: Passt auf!

Das Buchprojekt im Internet: www.kreisblattgeschichte.de


Über Heinz-Peter Tjaden