Schlacht am Harzrand: Noch viele Rätsel für Archäologen

Hannover/Northeim. Sensationeller archäologischer Fund am Harzrand, der die Wissenschaftler noch lange beschäftigen wird: Anfang Juni 2008 hat ein geschichtlich interessierter Bürger der Northeimer Kreisarchäologin Dr. Petra Lönne ungewöhnliche Funde vorgelegt, danach musste es schnell gehen, weil Südniedersachsen bevorzugtes Ziel von Raubgräbern ist. Eiserne Speerspitzen, Spitzen von Katapultgeschossen, eine Pionierschaufel und eine "Hipposandale" - ein spezieller Hufschutz für Pferde und Maultiere, wie er nur in der römischen Armee verwendet wurde, hatte der Hobbyhistoriker gefunden.

Eine Überprüfung im Gelände bestätigte die Angaben des Finders und zeigte, dass noch weitaus mehr Fundstücke im Waldboden oft nur wenige Zentimeter unter der Oberfläche lagen. Mit dem Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege leitete die Kreisarchäologie noch Ende August ein ungewöhnliches Projekt ein: Abgeschirmt von der Öffentlichkeit wurde das Gelände mehrfach systematisch mit Metallsonden prospektiert, hunderte georteter Funde wurden freigelegt, detailliert dokumentiert und ihre Konservierung eingeleitet. Gelingen konnte das angesichts der enormen Ausdehnung der Fundstelle nur, weil eine Gruppe von zuverlässigen Metallsondengängern, die seit mehreren Jahren eng mit der Braunschweiger Bezirksarchäologie zusammenarbeiten, intensiv in das Projekt eingebunden wurde: So wurden bis zu elf Metalldetektoren gleichzeitig von sehr erfahrenen Sondengängern eingesetzt.

Schon bald stellte sich heraus, dass es sich nicht wie anfangs vermutet um ein weiteres römisches Lager handelte, sondern um ein ausgedehntes Gefechtsfeld zwischen römischen Truppen und Germanen. In Teilen des weitläufigen Geländes sind die Funde so gut erhalten, dass eine Rekonstruktion der Schlacht möglich war.

Die Fundstelle liegt am Harzhorn bei Kalefeld im Landkreis Northeim auf der östlichen Spitze eines kilometerlangen Höhenzuges, der als natürliche Barriere auf den Westrand des Harzes zuläuft. Die Nord-Süd-Verbindungen entlang des Harzrandes müssen hier einen engen Pass überqueren, wo noch heute die Autobahn 7, die Bundesstraße 248 und die historische Heerstraße auf einem nur 300 m breiten Streifen dicht nebeneinander verlaufen. Die nach Norden steil abfallenden Hänge der im Westen anschließenden Kuppen sind nur an wenigen Stellen passierbar. Hier fand man die meisten Waffen.

Rätselhaft bleibt, warum die Germanen nicht die Gelegenheit nutzten, das verlassene Schlachtfeld systematisch zu plündern. Zertrümmerte Wagen, hunderte aus dem Boden ragende Geschosse und verlorene Ausrüstungsteile müssen noch jahrelang sichtbar gewesen sein, bevor der Wald sie unter sich begrub. Möglicherweise war das Gelände zumindest teilweise eine Tabuzone, die nicht betreten werden durfte.

Je mehr Funde die Archäologen machten, desto sicherer waren sie, dass es zu dieser Schlacht rund 200 Jahre nach der Varusschlacht gekommen war. Die bislang sichersten Datierungshinweise sind ein sehr abgegriffene Münze des Kaiser Commodus, der von 180 bis 192 n. Chr. regierte und ein Messerfutteral, das nicht vor dem ausgehenden 2. Jahrhundert nach Christus entstanden sein kann.

Ein konkretes Ereignis anhand archäologischer Befunde zu rekonstruieren, ist fast immer problematisch. Dies gilt ganz besonders für den ungewöhnlichen Fall, dass es sich um ein Geschehen handelt, für das es so gut wie keine historische Überlieferung gibt. Anhand archäologischer Beobachtungen lassen sich nur Modelle entwickeln, die immer wieder neu geprüft werden müssen. Außerdem stecken die Forschungen noch in den Kinderschuhen.

Das sehr umfangreiche Fundmaterial belegt zunächst unstrittig eine starke römische Militärpräsenz. Allerdings befand sich die klassische Struktur der römischen Armee im 3. Jahrhundert schon in weitgehender Auflösung. Die Römer waren auf Söldner angewiesen.

So setzte Kaiser Maximinus Thrax 235 n. Chr. bei seinem Feldzug gegen die Germanen unter anderem persische Bogenschützen und maurische Speerschleuderer ein. Andererseits verwendeten auch die Germanen in dieser Zeit Waffen aus römischer Produktion. Es ist daher anhand der Waffen kaum möglich zu entscheiden, ob sie von einem "Römer" oder einem Germanen geführt wurden.

Vom Harzhorn liegen allerdings eindeutige Spuren römischer Militärtaktik vor: So sind die dort gefundenen Pfeile nach bisherigem Kenntnisstand kaum, die indirekt durch die massiven Katapultprojektile fassbaren Torsionsgeschütze (mit mechanischen Spannvorrichtungen versehene große Pfeilgeschütze) überhaupt nicht von Germanen eingesetzt worden. Daher kann davon ausgegangen werden, dass im militärischen Sinn römisch geführte Truppen an dem Gefecht beteiligt waren.

Unsicher bleiben Größe und Auftrag der römischen Verbände. Da sie Torsionsgeschütze und Wagen mitführten, wird es sich um keine kleine Einheit gehandelt haben. Ob ihr Auftrag aber ein rein militärischer war, oder ob es sich möglicherweise um eine bewaffnete Gesandtschaft oder Expedition handelte, muss vorerst offen bleiben.

Weiterhin handelt es sich nach den bisherigen Beobachtungen um den Schauplatz eines offenen Feldgefechts. Ob darüber hinaus Befestigungen oder Verhaue errichtet wurden, wird erst durch zukünftige Grabungen überprüft werden können. Die bisherigen Beobachtungen machen folgende Arbeitshypothese wahrscheinlich: Römische Truppen auf dem Rückmarsch aus dem Norden fanden den nach Süden führenden Pass versperrt und erkämpften sich dann ihren Weg unter massivem Waffeneinsatz über den Höhenzug. Offenbar blieben die römischen Truppen bei diesem Gefecht aufgrund ihrer überlegenden Militärtechnik erfolgreich, mussten aber wegen anhaltender Bedrohung Richtung Leinetal abrücken.

Ein Beitrag für http://niedersachsenportal.blogspot.com


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