Heinrich Albertz als tragische Figur auf Wilhelmshavener Stadttheater-Bühne

„Terroristen-Pfarrer“ haben sie ihn genannt („Bild“-Zeitung), als am 27. Februar 1975 der Berliner CDU-Chef Peter Lorenz entführt wurde und das „Kommando 2. Juni“ darauf bestand, dass er die frei gepressten RAF-Häftlinge Horst Mahler, Verena Becker, Gabriele Kröcher-Tiedemann, Ingrid Siepmann, Rolf Heißler und Rolf Pohle auf ihrem Flug nach Aden begleitet, „Albertz - Mörder“ (Studentenplakat in Heidelberg) haben sie ihn genannt, als am 2. Juni 1967 in Berlin der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde.

In Bremen ist er am 18. Mai 1993 gestorben, in Wilhelmshaven kehrt er am 6. Dezember 2008 auf die Stadttheater-Bühne zurück: Heinrich Albertz, evangelischer Pfarrer und vom 14. Dezember 1966 bis zum 26. September 1967 Regierender Bürgermeister von Berlin. Wieder Leben eingehaucht hat ihm die Berliner Regisseurin Tine Rahel Völcker, die bei einem Besuch des Willy-Brandt-Hauses vor dem Bild dieses Sozialdemokraten stehen blieb und den Entschluss fasste, diesem Mann ein Theaterstück zu widmen. Gehör fand die 29-Jährige bei Georg Hess, seit zehn Jahren Stadttheater-Intendant in Wilhelmshaven, der ihr bereits einen Auftrag für eine Inszenierung gegeben hatte.

„Das wird ein spannender Abend“, verspricht Dramaturg Marc-Oliver Krampe nicht nur dem Premierenpublikum. Denn: „Das Thema ist zeitlos. Es geht um Spielregeln und um Kompromisse, die man machen muss.“ Großartig an Heinrich Albertz findet der 38-Jährige aus dem Ruhrpott: „Er hat Fehler eingestanden.“ Nicht nur das: Sie haben ihn ein Leben lang verfolgt.

Pfeifenraucher sind gemütliche Leute, sagt man, doch im Leben von Heinrich Albertz ist es oft turbulent zugegangen. 1915 in Breslau geboren, wuchs er in einem strengen Elternhaus auf, mit dieser Erziehung verbunden war ein derart konservatives Bild von der Geschlechterrolle, dass er seinen Sohn Rainer anrief, bevor er sich im März 1975 ins Terroristen-Flugzeug setzte: „Mein Vater wollte, dass ein Mann im Haus ist und meine Mutter tröstet.“

Als Heinrich Albertz von diesem Flug zurückkehrte, brauchte er selbst Trost, denn die Strapazen hatten ihn gezeichnet, Alpträume plagten ihn, diese Bilder wurde er nicht wieder los: Verhandlungen mit den Gefangenen im Frankfurter Flughafen, die Landung der Boeing 707 im Sand, weil die Landebahn im Südjemen gesperrt war, die schier endlosen Verhandlungen und schließlich die Freilassung von Peter Lorenz.

Auch andere Bilder wurde Heinrich Albertz nie wieder los: Der Staatsbesuch des Schahs von Persien in Berlin am 2. Juni 1967 und wenige Stunden später ein Student, der sterbend auf dem Pflaster liegt, eine Frau, die sich über den tödlich Verletzten beugt und später berichtet: „Die Polizisten haben geprügelt wie blöd.“ Da hat Heinrich Albertz mit dem Schah in der Oper gesessen. Das verzieh er sich nie: „Als die Pro-Schah-Demonstranten über die Anti-Schah-Demonstranten herfielen, hätte ich eingreifen müssen.“ Statt dessen übernahm er die Sprachregelung des Polizeipräsidenten und glaubte an Notwehr.

Das nahm er auf seine Kappe, als ein Untersuchungsausschuss dem Senat und der Polizei Fehler bescheinigte. Heinrich Albertz trat zurück und kehrte in seinen Beruf als evangelischer Pfarrer zurück. 1979 wurde er pensioniert. 1986 zog er mit seiner Frau in ein Altenwohnheim in Bremen und machte Gefängnisbesuche bei ehemaligen RAF-Terroristen. Ein weibliches RAF-Mitglied kam 1993 sogar zu seiner Beerdigung.

Das war nicht sein letzter Vorhang, am 6. Dezember um 20 Uhr öffnet er sich wieder für Heinrich Albertz im Stadttheater Wilhelmshaven. Weitere Vorstellungen folgen am 17. Dezember und am 31. Januar. Anschließend geht vielleicht der Wunsch von Dramaturg Marc-Oliver Krampe in Erfüllung: „Wir wollen mit diesem Stück raus aus Wilhelmshaven.“ Es sei so gut, es müsse überall gezeigt werden.

Ein Beitrag für www.2sechs3acht4.de und www.onlinezeitung24.de


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