Musterprozeß zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz trifft auf EU-weites Interesse bei Institutionen und Medien

Nachfolgend veröffentlichen wir die deutschsprachige Version eines ICM Interviews vom 09. Februar 2008:

(ICM London) Interview mit dem Ständigen Vertreter des European Anti-Discrimination Council – EAC in Deutschland und Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht, dem Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Klaus Michael Alenfelder, Professor für Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Nordhessen und dem Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht, Rechtsanwalt Frank Jansen, Fachanwalt für Arbeitsrecht, vom 6. Februar 2008 im Hinblick auf eine 500.000 Euro Klage wegen Diskriminierung (Frau Sule Eisele-Gaffaroglu gegen die R + V Versicherung), die von beiden Anwälten in Deutschland betreut wird:

ICM: Herr Prof. Dr. Alenfelder was ist besonders an dem Fall Eisele, der ja in den vergangenen Tagen ein erhebliches Medienecho deutschlandweit gefunden hat?

Prof. Dr. Alenfelder:
Das Besondere an diesem Verfahren ist der Mut von Frau Eisele. Viele Beschäftigte haben Angst. Sie nehmen Mobbing und Diskriminierung hin, um ihren Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Die Angst geht so weit, daß die Opfer meist allein stehen, nach dem Motto: Wer dem Opfer von heute hilft, ist selber das Opfer von Morgen.
Das mutige Vorgehen von Frau Eisele zeigt, es geht auch anders. Diskriminierung ist kein unabwendbares Schicksal. Diskriminierung ist verboten. Wer diskriminiert, muß Schadensersatz und Schmerzensgeld zahlen. Frau Eisele ist damit ein Beispiel für viele andere Opfer.

Aus juristischer Sicht ist das Verfahren in mehrerer Hinsicht ein Präzedenzfall. Die neuen Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes werden in der Praxis angewandt: Das Opfer muß die Diskriminierung glaubhaft machen und nicht beweisen. Der materielle Schaden muß vollständig ersetzt werden und es ist ein abschreckend hohes Schmerzensgeld festzulegen.

Dieses Verfahren ist von großer Bedeutung – nicht nur für Frau Eisele. Denn eins ist klar: Frau Eisele kämpft nicht nur für sich, sie kämpft für alle Diskriminierten. Wenn Frau Eisele siegt, gewinnen alle Gemobbten und Diskriminierten.

ICM: Zum Bereich Mobbing und AGG – wo liegen Unterschiede, inwiefern wird der Mobbingtatbestand durch die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes miterfaßt?

Frank Jansen:
Mobbing und diskriminierende Belästigung sind häufig identisch. Entscheidend ist die Motivation: Wird das Opfer gemobbt wegen seines Geschlechts, seines Alters oder seiner ethnischen Herkunft, handelt es sich um Diskriminierung.
Das AGG ist damit eine neue Chance für Mobbingopfer: Es wird einfacher, Mobbing nachzuweisen, und die Schadensersatzansprüche sind höher. Mobbing war gestern, heute ist AGG.

ICM: Frau Eisele verlangt 500.000 EUR Schadensersatz. Ist die Höhe des Schadensersatzes nicht überzogen?

Prof. Dr. Alenfelder:
Nein, denn den Hauptbestandteil ist entgangenes Gehalt, also Ersatz für finanzielle Verluste.
Das Schmerzensgeld macht nur rund 10 % der Gesamtforderung aus. Beim Schmerzensgeld fordert die EU, dass es abschreckend hoch sein muß. Der Schutz der Persönlichkeit ist nur durch eine solche abschreckende Höhe möglich:
Um ein Beispiel zu nennen. Macht ein Unternehmen 100 Mrd. EUR Umsatz im Jahr, dann ist ein Schadensersatz von einigen 1.000 EUR nicht viel. Damit kann man dieses Unternehmen nicht abschrecken.

Abschreckung ist aber erforderlich und angemessen, denn: Wer diskriminiert, verletzt Menschen an Körper und Seele.
Im Vergleich zu anderen EU Staaten wie England und Frankreich sind die Forderungen unserer Mandantin vergleichsweise bescheiden: In England wurden bis zu 2,4 Mio EUR Schadensersatz zugesprochen.
In Frankreich drohen Diskriminierern sogar bis zu 5 Jahre Haft und 75.000 EUR Geldbuße. Das ist Abschreckung!

ICM: Warum gibt es so wenig AGG Klagen?

Prof. Dr. Alenfelder: Zunächst einmal handelt es sich um ein neues Gesetz. Vielen sind die neuen Vorschriften nicht bekannt. Das ist bei vielen neuen Gesetzen anfangs ein Problem.

Beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz kommt eines hinzu: Es gab und gibt eine Hetzkampagne gegen AGG, vor allem aus der konservativen politischen Ecke und ausgerechnet durch Juristenverbände. Dabei ist eine Forderung des AGG die Versachlichung der Personalarbeit: Diskriminierung ist unmoralisch und wirtschaftlich ineffizient.

Dies zeigt ein Beispiel: Werden in einem Unternehmen Frauen schlechter bezahlt und haben sie kaum Chancen befördert zu werden – warum sollten sie sich dann für dieses Unternehmen einsetzen? Diskriminierung entmutigt und demotiviert.

Erstaunt hat uns in der Diskussion um das AGG die Rolle der Anwaltschaft. In den USA waren Anwälte die Speerspitze im Kampf gegen Rassendiskriminierung und für die Bürgerrechte. Im krassen Gegensatz dazu steht Deutschland: Der Deutsche Anwaltsverein kämpfte gegen das AGG und damit gegen ein Gesetz, das Diskriminierte endlich wirksam schützen kann.

Ich kann hier auch für meinen Kollegen, Herrn Jansen sprechen: Das ist nicht unser Selbstverständnis als Anwälte!

ICM: Wie steht Brüssel zu Ihren Einschätzungen Herr Prof. Dr. Alenfelder? Immerhin sind Sie ja als Ständiger Vertreter in Deutschland Teil des dortigen Konsultationsprozesses.

Prof. Dr. Alenfelder: Die EU hat meine Anregungen aufgegriffen. Sie hat die Bundesregierung scharf kritisiert, weil die Diskriminierungsverbote unzureichend umgesetzt sind.
Deutschland droht eine erhebliche Vertragsstrafe.
Das Einknicken vor der Lobbyarbeit einiger weniger, müssen dann alle Bürger teuer bezahlen. In diesem Zusammenhang trifft die Richter eine besondere Verantwortung. Sie müssen die Fehler im Gesetzestext ausgleichen. Das Gesetz darf nur nach den klaren EU Vorgaben ausgelegt werden. Das müssen die Richter berücksichtigen. Verstößt ein Richter dagegen, kann Deutschland zu massiven Vertragsstrafen verurteilt werden. Ein Richter der hier falsch entscheidet, schadet allen Steuerzahlern.


Über Dr. Stefan Prystawik