Auf schmalen Reifen nach vorne

Geringe Stückzahlen, hohe Umsatzanteile und jede Menge Kohle: Carbon-Hype und der Trend zum Breitensport machen das Rennrad trotz der aktuellen Profisport-Misere attraktiv.

[pd-f] Wenn es ums Massengeschäft geht, spielt die Königsklasse des Fahrrades keine überragende Rolle: Rennräder dienen als Technologieträger und Image-Produkte, was ihren Marktanteil angeht, findet man sie in den Statistiken jedoch unter "ferner liefen". Schätzungsweise zwei Prozent der 4,45 Millionen 2006 in Deutschland verkauften Fahrräder sind der Gattung "Rennrad" zuzuordnen - so wenig, dass sich der Zweirad-Industrie-Verband e. V. bei seiner jährlichen Marktübersicht nicht mal die Mühe macht, sie gesondert aufzulisten. Die Radsportgeräte werden zusammen mit den sogenannten Fitnessbikes (Trimm-Rennrad mit geradem Lenker) und Crossbikes (28-Zoll-Geländeräder) in einen Topf geworfen; der Marktanteil dieses Dreigestirns beläuft sich dann auf immerhin acht Prozent. Etwas besser sieht es übrigens in der Schweiz aus: Dort waren 2006 4,3 Prozent aller verkaufen Fahrräder "Rennvelos", ganze 12.800 Stück.

Doch diese Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Radsport großer Beliebtheit erfreut - zumindest auf Seiten der Aktiven. Auf Rennradfahrer zugeschnittene Breitensport-Events haben Hochkonjunktur; Massenveranstaltungen wie die Vattenfall Cyclassics in Hamburg ziehen 20.000 Starter an und Deutschlands Rad-Sponsor Nummer eins, T-Mobile, organisiert seit 2006 eine Jahreswertung für Hobbyfahrer, die bei den großen "Jedermann-Veranstaltungen", so der Szene-Jargon, am Start sind.

Die Fahrradindustrie freut sich über diesen Trend, denn auch wenn Rennmaschinen stückzahlenmäßig wenig relevant sind, so sind sie aufgrund der hohen Preise doch attraktive Umsatzbringer: Einer Umfrage des Branchenmagazins SAZ Bike zufolge machten Rennräder im Jahr 2006 9,6 Prozent des mit Fahrrädern erzielten Umsatzes im Fachhandel aus - im Vergleich zu 2005 eine Steigerung um 1,3 Prozent, trotz Fußball-WM und Tour-de-France-Debakel. Das liegt auch daran, dass Rennräder zu fast 100 Prozent vom spezialisierten Fachhandel und einigen wenigen Versendern verkauft werden - die "grüne Wiese" hält sich lieber an billige Cityräder und Primitiv-Mountainbikes. Und immer wieder regt die Industrie den eigentlich eher konservativ eingestellten Rennradfahrer zum Kauf eines neuen Modells an.

So schaffte der US-Hersteller SRAM (www.sram.com) etwas, das die gesamte Szene für unmöglich hielt: zwei komplette Komponentengruppen ("Force" und "Rival") inklusive innovativer und eigenständiger Schaltbremshebel auf den Markt zu bringen. Hightech findet sich auch an eher unauffälligen Bauteilen wie der Bereifung: Nur noch 195 Gramm zuzüglich Schlauch wiegt ein guter Rennrad-Pneu wie der "Ultremo" von Schwalbe (www.schwalbe.de) mit einer optimalen Verbindung von Haftung und Abriebfestigkeit sowie einer Pannenschutzlage aus der Weltraumfaser Vectran.

Schon ein vernünftig ausgestatteter Einsteiger-Renner kostet 600 Euro; auf der nach oben offenen Preisskala liegt eine profigerechte Carbon-Rennmaschine mit superleichten Systemlaufrädern zurzeit bei gut 6000 Euro. "Carbon" und "Leichtbau" sind dann auch die Schlagwörter, mit denen sich die Trends der Rennrad-Szene beschreiben lassen. Ein solides Brot-und-Butter-Rennrad für 1700 Euro wiegt mit Pedalen rund 8,5 Kilo. Was preislich über diese Summe hinausgeht, ist nahezu ausschließlich der Jagd nach dem Minimalgewicht geschuldet, und das geht eben zunehmend über den Einsatz des begehrten Fasermaterials. Inzwischen gibt es fast alle Komponenten des Rennrades in einer Kohle-Version: Rahmen, Gabel, verbreitet sind auch Tretkurbeln, Felgen und Einzelteile von Schaltwerken und Schalthebeln.

Ironischerweise macht ausgerechnet das höchste Organ des Radsports diesen Trend nicht mit, nämlich die Union Cyclisme International, der Rennsport-Weltverband: Dessen Statuten verfügen, dass ein im Rennsport benutztes Rad nicht weniger als 6,8 Kilo wiegen darf, der Chancengleichheit halber. Weshalb die Mechaniker der Profi-Rennställe mit kleinen Bleigewichten oder älteren, schweren Sattelmodellen hantieren.

So mancher kaufkräftige Hobbysportler fährt ein leichteres, teureres Rad als ein Profi - und so mancher Besitzer eines Edel-Rennrads nutzt sein gutes Stück eher zum "Posing" als zum fahren. Unter den gut verdienenden New Yorker Börsianern ist es schon länger en vogue, die Mittagspause im Central Park auf dem italienischen Edelrenner zu verbringen, stilecht gekleidet in ein wollenes Retro-Trikot. Dabei sind die beruflich Erfolgreichen oftmals auch im Radsport sehr ehrgeizig. Ein Trend, der nicht nur in die Börsenstadt Frankfurt geschwappt ist: Beim Telekommunikations-Giganten T-Mobile in Bonn gehört der Radsport inzwischen auch bei der Belegschaft zum guten Ton - und Topmanager wie der einstige Finanzchef Thomas Winkler gehen mit gutem Beispiel voran.

Nüchternen Sportlern, die jenseits vom Material-Hype einfach nur Rennrad fahren wollen, bietet die Branche inzwischen maßgeschneiderte Konzepte. Vom Mountainbike bekannte Dreifach-Kurbelsätze, die die Bergtauglichkeit erhöhen, sind inzwischen weitgehend sogenannten Kompakt-Kurbeln gewichen - zwei im Vergleich zur herkömmlichen Profi-Übersetzung etwas kleinere Kettenblätter erleichtern das Bergfahren und bieten dabei Rennrad-typische Optik und gewohnten Schaltkomfort. Stark im Kommen sind Rennräder mit "kompakter" Sitzposition. Ein gutes Beispiel bietet die Firma Felt (www.felt.de): Den Radprofis vom Team Felt-Wiesenhof stellt die Schmiede das Carbon-Topmodell "F1" mit sportlicher Sitzhaltung zur Verfügung; preislich und in Sachen Gewicht identisch ist das "Z25", das jedoch mit einem um gut vier Zentimeter längeren Steuerrohr und einem kürzeren Oberrohr eine bequeme, aufrechte Haltung erlaubt. Passend dazu kommen die sogenannten Compact-Kurbeln zum Einsatz. "Diese bieten eine bergtaugliche Übersetzung bei denoch rasant sportlicher Optik", erklärt Dirk Belling von Sram. Und neuerdings wird auch der Rennlenker entschärft: Bei manchen Modellen liegen die "Unterlenker" genannten Griffenden nicht mehr ganz so weit unten, was in der entsprechenden Griffposition "weniger Buckeln" bedeutet. Komponenten wie der winkelverstellbare "Swell"-Vorbau (Humpert, www.humpert.com) , der technisch und optisch auf hohem Niveau liegt, machen auch konventionelle Rennräder komfortabel - ganz ganz ohne Cityrad-Touch.

29.05.2007:

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